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Im Gespräch

Braucht Europa einen Mutausbruch?

Finanzminister Magnus Brunner und Erste Group-CEO Willi Cernko unterhielten sich über die Zukunft Europas.
Finanzminister Magnus Brunner und Erste Group-CEO Willi Cernko unterhielten sich über die Zukunft Europas.Rudolph
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Finanzminister Magnus Brunner und Erste Group-CEO Willi Cernko sind sich angesichts der
aktuellen Krisen einig, was es heute für einen positiven Blick in die Zukunft braucht: Mut und Optimismus.

In und um Europa mehren sich die politischen und bewaffneten Konflikte – Israel, Kaukasus, Ukraine –, Klimawandel, Teuerung und Inflation beschäftigen die Menschen in Europa ebenfalls. Der Kontinent reagiert angesichts der Krisen oft überrumpelt und vielen wird plötzlich klar, wie fragil der Wohlstand ist. Sind wir nicht nur wehrfähig im klassischen Sinn, sondern auch wehrfähig aus gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Sicht? Schafft es Europa trotz der multiplen Krisen, den Klimaschutz voranzutreiben und braucht der Kontinent einen Mutausbruch? Gerhard Hofer, stv. Chefredakteur der „Presse“, erörterte diese dringenden Fragen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Erste Group, Willi Cernko, und mit Finanzminister Magnus Brunner.

Die Wirtschaft stagniert, sie schwächelt und die Stimmung hat sich merklich eingetrübt. Zumindest wird dieses Bild vielerorts gezeichnet und auch in den kommenden Monaten gebe es keinen Grund für Optimismus. Willi Cernko widerspricht dem sich verbreitenden Pessimismus und erinnert sich an mehrere Gespräche mit mittelständischen Unternehmen in den letzten Wochen, die trotz der aktuellen Lage positiv in die Zukunft blicken und auch aktiv an der grünen Trans­formation der Wirtschaft arbeiten: „Dort wurden Risiken genommen und die Betriebe sind voller Zuversicht und die wird auch bestätigt“, so Cernko. „Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass wir nicht immer zu sehr der veröffentlichten Meinung folgen sollten. Ich spreche teilweise mit Unternehmen und sie zeichnen ein völlig anderes Bild. Da ist Mut und Zuversicht vorhanden und das Glas ist deutlich halbvoll.“

Mehr Mut gefragt

In der Politik, nimmt Finanzminister Brunner diesen Gedanken auf, wäre es öfters angebracht, Mut zu zeigen – und spielt auf das Vorhaben an, die kalte Progression abzuschaffen. „Jeder sieht dabei die Nachteile und man nimmt sich selbst Spielraum für zukünftige Budgets, denn die größte Steuerreform der zweiten Republik geht sich dann nicht mehr aus“, weiß Brunner um die Kritik. Umgekehrt sei dieser Schritt nötig gewesen, „ein Akt der Fairness“, wie er sagt.

Finanzminister Magnus Brunner
Finanzminister Magnus BrunnerRudolph

»Denn nicht alles, was in der Politik populär klingt, ist auf den zweiten Blick auch sinnvoll.«

Magnus Brunner

Finanzminister

Manchmal sei es durchaus sinnvoll, auch unpopuläre Maßnahmen umzusetzen und in Gefahr zu geraten, Wählerstimmen einzubüßen. „Das kann der Fall sein, denn nicht alles, was in der Politik populär klingt, ist bei näherer Betrachtung auch sinnvoll“, erläutert der Finanzminister. „Gewisse Dinge und deren Konsequenzen zu Ende zu denken, würde uns guttun. Nicht alles, was auf den ersten Blick Wählerstimmen bringen könnte, ist auf den zweiten Blick auch sinnvoll.“ Das gelte auch für Maßnahmen in Sachen Klimaschutz, bei deren Umsetzung unter Umständen unternehmerische Ängste überwunden oder Nachteile in Kauf genommen werden müssen.

„Ich spreche lieber von Risken“, schwächt Cernko ab. „Sie gilt es zu analysieren und gut vorbereitet zu managen.“ Allerdings seien nicht alle bisherigen Geschäftsmodelle auch zukunftsfähig. Deshalb setzt der CEO der Erste Group auch stark darauf, jene Unternehmen zu unterstützen, die gerade starten. Und er verweist außerdem darauf, dass es derzeit in Österreich auf Nettobasis mehr Unternehmensgründungen als -schließungen gibt: „Wir sollten uns darum kümmern, dass diese jungen Unternehmer gute Voraussetzungen vorfinden“, sagt der Bankmanager.

Europa versus USA?

Mit einem Volumen von rund 370 Milliarden Dollar haben die USA den Inflation Reduction Act umgesetzt, der auch viele europäische Green-Tech-Unternehmen anziehen soll. Bestünde in der Europäischen Union nicht akuter Handlungsbedarf, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu beschleunigen? Finanzminister Brunner warnt vor einem Subventionswettbewerb und dem möglichen Hineinmanövrieren in eine Handelsauseinandersetzung: „Unsere Antworten müssen schnellere Verfahren und weniger Bürokratie sein. Es stimmt, wir sind zu langsam in diesem Bereich.“

Willi Cernko, CEO Erste Group
Willi Cernko, CEO Erste GroupRudolph

»Wenn man in den USA eine Formularseite ausfüllen muss, ist bei uns eine Tonne Papier fällig.«

Willi Cernko

CEO Erste Group

Cernko unterstreicht, dass der Zugang zu den ausreichend vorhandenen Fördertöpfen der EU viel zu bürokratisch ist: „Wenn man in den USA eine Formularseite ausfüllen muss, ist bei uns eine Tonne Papier fällig. Es wird wahnsinnig schwer gemacht, den Zugang zu diesen Mitteln zu finden. Das ist auch in Brüssel bekannt. Die Frage ist, weshalb man nichts dagegen tut.“

Ebenfalls kritisch sieht Cernko das Abwandern von gut ausgebildeten Fachkräften, die es in die USA, nach Kanada, Australien oder Neuseeland zieht. Dort seien die weltweit besten Universitäten zu finden, es gebe einen funktionierenden Kapitalmarkt und keine Landes­grenzen, an die so manches europäische Unternehmen stößt: „Es fehlt der Mut, die Tore weit aufzumachen. Wir haben große Dinge, verengen aber die Zugänge. Das muss sich ändern.“

Persönliches Engagement

Während sich Europa selbst oft zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz stilisiert, stehen in China und den USA wesentlich höhere finanzielle Mittel für die grüne Transformation zur Verfügung. Deshalb ist es für Willi Cernko unbedingt nötig, auch die privaten Haushalte der EU zu Investments in eine nachhaltige Zukunft zu ermutigen. „Die finanziellen Mittel wären vorhanden, denn die EU-Haushalte verfügen über Bargeld und Kontoguthaben in der Höhe von 10.000 Milliarden Euro. Für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft bis ins Jahr 2030 werden 500 Milliarden benötigt“, analysiert Cernko. Es sollte ein Leichtes sein, private Haushalte als Investoren zu gewinnen, wobei sich zusätzlich ein persönliches Engagement der Menschen in Sachen Transformation ergäbe.

Magnus Brunner stößt ins selbe Horn, denn Ökonomie und Ökologie müssen einander nicht ausschließen: „Das öffentliche Geld wird nicht ausreichen, wir werden privates Kapital besser mobilisieren müssen. Innovation und Technologieoffenheit werden nötig sein, um die Transformation zu schaffen.“ Dabei ist die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung wichtig, anstatt hauptsächlich mit Verboten zu agieren. „Man muss die Menschen und die Unternehmen auf diesem Weg mitnehmen, sonst werden wir es nicht schaffen“, ist der Finanzminister überzeugt. „Wir sollten über die Chancen sprechen, die die Transformation mit sich bringt. Das private Geld werden wir brauchen, um den Klimawandel zu bekämpfen.“ Dazu müssen aber zuerst der Kapitalmarkt attraktiver, die Chancen vor den Vorhang geholt und die Österreicher weniger risikoscheu werden.

Dem stimmt Cernko zu, denn für die Transformation stünden nur vier Investitionstöpfe zur Verfügung: Die Eigenmittel der Unternehmen, die durch Fördermittel auf europäischer oder nationaler Ebene ergänzt werden; gesund aufgestellte Banken, die in der Lage sind, Liquidität, also Finanzierungen, zur Verfügung zu stellen; und eben der Kapitalmarkt, wo viele Private eingeladen sind, mitzumachen. „Es bringt für Privatpersonen so viele Vorteile, sich hier zu engagieren. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen zu schaffen und die ideologischen Scheuklappen abzulegen“, meint der Vorstandsvorsitzende der Erste Group.

Doch wird Europa den Weg in eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft auch schaffen? Sowohl der Bankmanager als auch der Finanzminister geben sich grundsätzlich positiv. Cernko ist überzeugt, dass die Menschen an ihre Fähigkeiten und die Fähigkeiten der Gemeinschaft glauben: „Es ist den Menschen bewusst geworden, dass die vor uns liegenden Herausforderungen nur gemeinsam gemeistert werden können“, sagt Brunner. „Wir müssen optimistisch sein, den Mut zu gewissen Veränderungen und auch den Mut zum Optimismus haben. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber“, meint der Finanzminister. „Wir werden das als Europäische Union und als Österreich schaffen. Wir müssen optimistisch bleiben, aber nicht naiv sein.“

Information

Das Branchengespräch fand in Kooperation mit „Die Presse“ und mit finanzieller Unterstützung der Erste Group statt.


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