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Expertentalk

Wer hat Angst vor der KI?

Die Teilnehmer der Diskussionsrunde (v.l.): E. Komarek (Styria Media Group), C. Wolf-Brenner, T. Gremsl (Universität Graz), J. Pirker (TU Graz), D. Pak-Graf (Merkur Innovation Lab), F. Gschwandtner (Co-Gründer Runtastic)
Die Teilnehmer der Diskussionsrunde (v.l.): E. Komarek (Styria Media Group), C. Wolf-Brenner, T. Gremsl (Universität Graz), J. Pirker (TU Graz), D. Pak-Graf (Merkur Innovation Lab), F. Gschwandtner (Co-Gründer Runtastic)beigestellt
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Gerade im Gesundheitswesen tut sich mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) Neues auf. Bahnbrechende Chancen und ernsthafte Risiken wurden im Merkur Campus in Graz diskutiert.

Hoffnungsträger für ein besseres Leben oder Türöffner in eine dystopische Zukunft – der Spannungsbogen in der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz ist groß. Chancen und Risiken rasanter technologischer Entwicklungen standen zum Auftakt einer Fokuswoche zum Thema Active & Assisted Living in Graz im Blickpunkt, zu der Daniela Pak-Graf und Harald Neubauer, Geschäftsführer des Merkur Innovation Labs, zahlreiche interessierte Gäste begrüßten. Die Merkur Versicherung hatte zum dreijährigen Bestehen des hauseigenen Innovation Lab zur Podiumsdiskussion „Ready for Health 2.0 – KI im Gesundheitswesen – High risk no fun?“ am Merkur Campus geladen, die von Eva Komarek, General Editor for Trend Topics in der Styria Media Group, geleitet wurde.

Florian Gschwandtner, Co-Gründer der Fitness-App Runtastic und vielseitiger Investor, nahm das Publikum in seiner Keynote mit auf eine temporeiche Zeitreise digitaler Transformation. Er führte unter anderem vor Augen: Die Flugzeugindustrie hat 64 Jahre gebraucht, um 50 Millionen Kunden zu generieren, das Mobiltelefon 12 Jahre – und Chat GPT erreichte die ersten 100 Millionen Kunden innerhalb von nur zwei Monaten. Mittlerweile werde Prompt Engineering, die Beschreibung der von der AI zu erledigenden Aufgabe im Eingabefeld, zusehends zum begehrten Jobtitel: „Nicht die KI wird Jobs ersetzen, sondern jene Menschen, welche sie bedienen und mit den richtigen Fragen füttern können“, so Gschwandtner. 

Fortschritte der Diagnostik

Besonders im Gesundheitsbereich bringt die Technologie breite Möglichkeiten – etwa bei Trainingsmethoden, in der Diagnostik, der Früherkennung von Erkrankungen in bildgebenden Verfahren und in der Therapie, führte Johanna Pirker aus. Die Softwareentwicklerin und Forscherin am Institut für Interaktive Systeme und Data-Science an der TU Graz hält aber die Bezeichnung „Machine Learning“ für adäquater, „denn es geht ja ums Lernen. Künstliche Intelligenz denkt anders als der Mensch.“ So werden unerwartete Ergebnisse möglich, etwa die erfreuliche Entdeckung eines neuen Antibiotikums.

Diskussionsleiterin Komarek brachte in der Expertenrunde die so bedeutsame Frage des Umgangs mit sensiblen Datensätzen ins Spiel. Thomas Gremsl, Professor am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre an der Uni Graz und Vorsitzender der TU-Ethikkommission, unterstrich die Notwendigkeit intensivierter Bewusstseinsbildung: „Digitale Transformation ist keine Naturgewalt ist, die uns überrollt, sie ist menschengemacht. Machine Learning geschieht nicht wertfrei, das ist keine isolierte Innovation. Im Generieren und Nutzen von Daten stecken konkrete Intentionen. Es braucht einen guten regulatorischen Rahmen. Ethik bedeutet nicht ein Verhindern von Innovationen, vielmehr geht es um mehr Menschen- und Umweltgerechtigkeit.“

Bias-Effekt

Auf welchen Datensätzen Systeme wie GPT-3 überhaupt basieren, darauf habe man hierzulande keinen Zugriff, merkte Pirker kritisch an. Sie verwies auf rassistische und sexistische Parameter und den Bias-Effekt, der bei der Verarbeitung von Daten Diskriminierungen von bestimmten Personengruppen verstärkt und zu Verzerrungen führt und unterstrich als Alternativen Open-Source-Systeme. „Suche ich in Midjourney ein Bild von einem Gamer, bekomme ich als Ergebnis Motive von Buben, die im Keller mit einer Pizza sitzen, aber niemanden wie mich.“ Daniela Pak-Graf, CEO des Merkur Innovation Lab, schlug in dieselbe Kerbe. „Man muss aufpassen, was man mit welchen Daten macht. Rechtlich gibt es im Versicherungsbereich strenge Regulatorien. Was aber vielerorts fehlt, ist Dataliteracy“, brachte sie die Problematik mangelnder Datenkompetenz zur Sprache.

Christoph Wolf-Brenner, Berater für AI und Data Driven Business am Know-Center Graz, sah in der Schulung junger Menschen einen wesentlichen Weg, künftig kritisch mit solchen Systemen umzugehen. „Die Kunst wird darin liegen, Informationen auf ihre Plausibilität und ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen“, bekräftigte Pak-Graf. Pirker hegte die Hoffnung, dass sich ein generationenübergreifendes Technologieverständnis etablieren lässt. „Wir müssen aufhören zu denken, dass nur Eltern und Großeltern den Kindern etwas beibringen können. Das kann auch umgekehrt der Fall sein, wenn die Kinder in der Schule gerade die coolsten KI-Technologien ausprobiert haben.“

Europas Aufgaben

Die Rolle Europas im weltumspannenden Technologiewettstreit ist einmal mehr keine einfache. „Wir sind so weit hinten, wir können froh sein, wenn wir noch mitforschen können“, konstatierte Pirker. „Unsere Daten dagegen sind bereits auf Servern in der ganzen Welt verteilt. Eine wichtige Aufgabe wäre es, mehr Daten zu generieren und auf europäischen Servern zu halten“, gab sie eine Marschrichtung vor, um einer Übermacht amerikanischer und asiatischer AI-Algorithmen entgegenzuwirken. Grenzen der Machbarkeit liegen freilich auch im Fehlen leistungsfähiger Rechenzentren für derartige Datenmengen, merkte Wolf-Brenner an.

„Die digitale Transformation ist ebenso wie die Klimakrise eine globale Herausforderung“, brachte es Kremsl auf den Punkt, „es fehlt allerdings noch das Bewusstsein dafür. Wir versuchen ihr regional und kontinental mit Regulierungsimpulsen zu begegnen. Der Rahmen müsste global designt werden, das werden wir in naher Zukunft nicht schaffen.“

Die Expertenrunde war sich jedenfalls darin einig, dass die Entwicklung künstlicher Intelligenz und ihrer Anwendungen zügig voranschreitet und immer mehr Aspekte unseres Lebens berührt. AI, wie wir sie in dystopischen Science-Fiction-Visionen vor Augen geführt bekommen, werde es aber nicht geben, war es Pirker ein Anliegen, Technologieangst zu nehmen. „Wenn wir verstehen, wie AI funktioniert, können wir basierend auf den Empfehlungen Entscheidungen treffen. So steht es auch im AI Act der EU – künstliche Intelligenz soll informieren, helfen und uns unterstützen.“

Information

Das Branchengespräch ist eine Kooperation von „Die Presse“ und der Merkur Versicherung – mit finanzieller Unterstützung.


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