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Ausstellung

Die geheime Meisterin der reinen Linie

„Im Zimmer“, Gabriele Münter, 1913, Öl auf Leinwand. In dieser Zeit widmete ihr Herwarth Walden in seiner Berliner Galerie eine umfangreiche Einzelausstellung. 
„Im Zimmer“, Gabriele Münter, 1913, Öl auf Leinwand. In dieser Zeit widmete ihr Herwarth Walden in seiner Berliner Galerie eine umfangreiche Einzelausstellung. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957 © Bildrecht, Wien 2023
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Zu Lebzeiten unterschätzt, gilt Gabriele Münter heute als eine Ikone des deutschen Expressionismus. Das Leopold Museum widmet ihr nun eine umfassende Retrospektive.

Wie so oft in der Kunstgeschichte wurden Frauen entweder ignoriert, totgeschwiegen, vergessen oder auf ihre Rolle als „Musen“ oder jeweilige Begleiterinnen von berühmten Malern reduziert. Dieses Schicksal ereilte auch Gabriele Münter (1877 bis 1962), die lange nur als „Frau an der Seite von Wassily Kandinsky“ wahrgenommen wurde, wie sie selbst 1926 konstatierte: „Ich war in vieler Augen doch nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky. Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben, ein schöpferischer Mensch sein kann, das wird gern vergessen.“

Erst in den letzten drei Jahrzehnten führten wichtige Ausstellungen und Publikationen zu einer Neubewertung und einer breiten Anerkennung des Schaffens der Künstlerin. Heute gilt sie als eine der Ikonen des deutschen Expressionismus.

Frühe Jahre eines Talents

Gabriele Münter kam 1877 als zweite Tochter und jüngstes Kind deutscher, in die USA ausgewanderter und wieder nach Deutschland zurückgekehrter Eltern in Berlin zur Welt. Schon als Kind zeigte sich ihr Talent und 1897 begann sie in Düsseldorf Privatunterricht in Malerei zu nehmen. Ein Jahr später reiste sie mit ihrer Schwester zu Verwandten in die USA, eine Reise, die zwei Jahre dauern sollte. Dort begann sie sich auch intensiv mit Fotografie zu beschäftigen, wobei sie nicht nur die unterschiedlichen Landschaften fotografierte, sondern auch Alltagsszenen im Bild festhielt.

»Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben, ein schöpferischer Mensch sein kann, das wird gern vergessen.«

Gabriele Münter 

(1877 bis 1962)

1901 zog Münter wegen ihres Kunststudiums nach München und besuchte unter anderem bei Kandinsky die abendliche Aktklasse. Im oberbayerischen Kochel am See, wo Kandinsky im Sommer einen Kurs in Freilichtmalerei abhielt, kam es zu einer Annäherung zwischen der Schülerin und ihrem verheirateten Lehrer. Da eine außereheliche Liaison in jener Zeit gesellschaftlich geächtet wurde, unternahm das Paar von 1904 bis 1908 ausgedehnte Reisen – unter anderem nach Holland, Tunesien oder Dresden. 1906 verbrachten sie ein Jahr in Frankreich.

In dieser Zeit beschäftigte sich Münter intensiv mit Druckgrafik und es entstanden Arbeiten nach seriellem Prinzip. Ihrer spätimpressionistischen Freiluftmalerei stand mit dem Medium Druckgrafik der Mut zur Reduktion des Bildgefüges auf Konturen und Farbfelder gegenüber. Diesen Weg sollte sie wenig später auch in ihren Ölgemälden einschlagen.

Ein künstlerischer Durchbruch

1908 gelang ihr in Murnau der entscheidende Durchbruch zu Klarheit und Reduktion, zu einer vereinfachten und flächigen Malweise mit großen Flächen und starken Farben. Sie selbst beschreibt es so: „Ich habe da nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht – vom Naturabmalen mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts – zum Abstrahieren – zum Geben eines Abstrakts.“ Im Jahr darauf erwarb sie dort auch ein Haus, in dem etliche Mitglieder der künstlerischen Avantgarde, wie etwa Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, der Komponist Thomas von Hartmann und seine Frau Olga, Franz Marc, August Macke, Paul Klee und Arnold Schönberg regelmäßig zu Gast waren.

„Bildnis Marianne von Werefkin“, Gabriele Münter, 1909, Öl auf Karton.
„Bildnis Marianne von Werefkin“, Gabriele Münter, 1909, Öl auf Karton.Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957 © Bildrecht, Wien 2023

In den darauffolgenden Jahren nahm sie mit der Neuen Künstlervereinigung München, an deren Gründung sie maßgeblich beteiligt war, an Gruppenausstellungen teil. Kandinskys Auslandskontakte ermöglichten es, die Werke der Gruppe im Russischen Reich zu zeigen, unter anderem in St. Petersburg, Odessa, Riga und Moskau.

Die zweite Ausstellung der Künstlergruppe fand in der Münchener Modernen Galerie von Heinrich Thannhauser statt. Nach dem Austritt des Kreises um Kandinsky aus dieser Künstlervereinigung gestaltete sie das Projekt des Blauen Reiters maßgeblich mit. Aufgrund ihrer fotografischen Expertise dokumentierte Münter die Aktivitäten der beiden Kunstgruppierungen und wurde so zur wichtigsten Chronistin der Münchener Avantgarde. In dieser Zeit beschäftigte sich Gabriele Münter, ohne die Ausdruckskraft der Farben zu verlieren, mit den Möglichkeiten der Abstraktion und entdeckte ihre Freude am Experimentieren. Die Unterschiedlichkeit ihrer Werke war ihr durchaus bewusst, wie sie 1910 an Kandinsky schrieb: „Meine Arbeiten scheinen mir oft zu verschieden und dann mein ich auch wieder, daß es doch eine Persönlichkeit ist, die das Verschiedene macht.“ 1913 widmete ihr Herwarth Walden in seiner Berliner Galerie „Der Sturm“ eine umfangreiche Einzelausstellung.

Trennung und Schaffenskrise

1915 zog die Künstlerin nach Skandinavien, wo sie sich – zum letzten Mal – mit Kadinsky traf, der ihr Verhältnis beendete. 1917 ließ sie sich in Kopenhagen nieder, wo Ende 1918 ihre bis dato größte Ausstellung gezeigt wurde: Der Künstler*innenverein „Den Frie Udstilling“ zeigte 100 Ölgemälde, 20 Hinterglasbilder sowie druckgrafische Arbeiten. 1920 kehrte die Malerin nach Deutschland zurück. Sie knüpfte Kontakte nach München, stellte in der Neuen Münchener Secession und erneut bei Thannhauser aus. Die Trennung von Kandinsky hatte zu einer tiefen Lebens- und Schaffenskrise geführt. Hinzu kam der bis 1926 andauernde, zermürbende Rechtsstreit mit Kandinsky, der von ihr die Rückgabe seiner in München zurückgelassenen Werke forderte. 1925 zog sie zu ihrer Schwester nach Berlin, wo sie Ende 1927 dem Kunsthistoriker Johannes Eichner begegnete, der zu ihrem späteren Lebensgefährten werden sollte. 1929 verbrachte sie erneut ein Jahr in Frankreich. Während dieser Zeit entstand eine große Anzahl neuer Gemälde, hauptsächlich Straßenansichten und Porträts, in denen sich sowohl Elemente der Neuen Sachlichkeit als auch des Expressionismus finden.

In den 1930er-Jahren sollte sich ihr Stil konsolidieren, sie gestaltete Landschaftsgemälde und Porträts, mit denen sie teils an die Zeit des Blauen Reiters anknüpfte, aber auch andere Einflüsse verarbeitete. Als typisch für Münters reifen Stil der 1930er-Jahre gelten der glatte Farbauftrag, die schwarzen Konturen und leuchtenden Farben sowie die Zusammenfassung der Hauptelemente in große Blöcke.

Anpassung und Widerstand

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde Münters und Eichners Haus in Murnau zu einem sicheren Hort für die Moderne: Das Paar versteckte zahlreiche frühe Werke Kandinskys und Archivalien des Blauen Reiters sowie auch eigene Bilder Münters. Da sie selbst nie auf dem Radar der Nationalsozialisten aufschien, weil ihre Arbeiten in keinem einzigen Museum vertreten waren, entging die Künstlerin dem Schicksal vieler Kolleg*innen, die unter der Naziherrschaft mit einem Berufsverbot belegt waren. So blieben ihr zwar Anfeindungen seitens der Kulturobrigkeit des Regimes weitgehend erspart, aber auch Erfolge blieben aus.

„Der blaue See“, Gabriele Münter, 1954, Öl auf Leinwand. 
„Der blaue See“, Gabriele Münter, 1954, Öl auf Leinwand. LENTOS Kunstmuseum Linz/Reinhard Haider © Bildrecht, Wien 2023

Erst zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollte Gabriele Münter wieder ins Rampenlicht der Kunstszene rücken. Sie erhielt 1956 den Förderpreis im Bereich Bildende Kunst der Landeshauptstadt München und es entstand die „Gabriele-Münter-Stiftung“. Das Leopold Museum widmet nun dieser Künstlerin als erste Institution in Österreich eine umfassende Retrospektive mit hochkarätigen Exponaten aus internationalen Museen und Privatsammlungen. „Manche ihrer Gemälde sind mit ihren signifikanten, auf Form und Farbe, Schlichtheit und Harmonie fokussierten Kompositionsschemata regelrechte Ikonen des deutschen Expressionismus. Dass das Leopold Museum nun als erste Institution in Österreich eine umfassende Münter-Retrospektive ausrichtet, ist ein seit einer Dekade gehegter Wunsch und erfüllt uns mit großer Freude“, erklärt Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum.

Die Ausstellung

Die mehr als 130 Exponate dieser Ausstellung – Gemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Fotografien sowie kunsthandwerkliche Objekte – geben einen umfassenden Einblick in das vielschichtige Werk von Gabriele Münter, deren außergewöhnliches Leben geprägt war von kreativen Phasen, von Zeiten der Selbstzweifel und der Selbstsuche, changierend zwischen persönlichen Problemen und Erfolgen. Münters Schaffen ist durch eine lebenslange Suche nach dem rein malerischen Ausdruck gekennzeichnet, verbunden mit dem Interesse an Innovation, mit couragierten Stilwechseln und der Beschäftigung mit unterschiedlichsten Techniken. Schlichte Kompositionen, ausdrucksstarke Linienführung, kräftige Farben – so präsentieren sich die besten Werke der Künstlerin.

Information

Retrospektive im Leopold Museum

Gabriele Münter

20. 10. 2023 bis 18. 02. 2024

Öffnungszeiten: Täglich außer Dienstag, 10–18 Uhr sowie an Feiertagen geöffnet

PORR NIGHT, jeden ersten Donnerstag im Monat,
18–21 Uhr freier Eintritt

Weitere Informationen auf:

www.leopoldmuseum.org


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