In der offenen Küche werken Pavel Kolesnik und Jarryd Jason Schott
Fokus auf Lokal-Kolorit

Lokalkritik im Delicatessen: Aufregendes am Spittelberg

Alles andere als Fadgas verströmt das Delicatessen in einer der schönsten Gassen Wiens – bisher aber nur beim Essen.

Dass das Delicatessen am Wiener Spittelberg in russischer Hand ist, sieht man dem Lokal nicht an, im Gegensatz zu anderen, die hierzulande oft durch ihr zu glatt poliertes Antlitz ins Auge stechen. Im Delicatessen darf Altbauparkett Lebensspuren zeigen, hängen Schullehrtafeln zur Hendlananatomie, löst an den Wänden eine ornamentale Tapete im hintersten Gastraum ein kraftvolles Rot ab („Russisch Rot“ ist allerdings eine Zahnwurzelkanalfüllpaste, wie Google auf Anfrage mitteilt). Das Lokal – Restaurant und eine Bar im Untergeschoß – in einer der schönsten verkehrsfreien Gassen Wiens stand schon seit Jahren in den Startlöchern, konnte aber den Behördenvorschriften-Großglockner erst vor wenigen Wochen bezwingen.

Einer der Besitzer ist der Exilrusse Ivan Shishkin, der in Hamburg lebt, aber auch am Spittelberg gesichtet werden kann – „in Wien bin ich fast gleich schnell wie in Berlin“. Shishkin ist einer der Pioniere der Moskauer Streetfood-Szene und führte unter dem Namen Delicatessen schon ein Lokal in der russischen Hauptstadt. Ein Mann, der viel zu erzählen hat und das nicht nur in ­mehreren Büchern tut, sondern auch, wenn anwesend, im Wiener Delicatessen.

Durchkosten

Die Speisekarte, unterteilt in Kategorien wie „Small Bites“, „Blätter, Wurzeln und Triebe“ oder „Fries“, verströmt alles andere als Fadgas – man koste sich tunlichst bis zum Anschlag durch, die Preise erlauben das. Von den in Za’atar gewälzten Wachteleiern (3 Euro) bis zum Testerinnensieger, dem knusprig gebratenen schwarzen Reis mit Sepia, Manda­rinen-­Kosho und Aioli (21 Euro), und wer kann, nehme noch ein Dessert.

Knuspriger schwarzer Reis mit Sepia, Frittierte Rote Rüben mit Koriander-Limetten-Mayonnaise
Knuspriger schwarzer Reis mit Sepia, Frittierte Rote Rüben mit Koriander-Limetten-MayonnaiseChristine Pichler

Während in der offenen Küche Pavel Kolesnik dünn aufgeschnittene Putenbrust mit Urfa biber, dem besten aller Chilis, und Zwiebelsirup anrichtet (wie alles hier auf Vintagegeschirr), schickt der zweite Koch, Jarryd Jason Schott, den Teig für einen Riesenraviolo mit Spinat und flüssigem Dotter durch die Pastamaschine. Rote Rüben ­werden im Ofen vorbehandelt, bevor sie in Stücken frittiert werden und so eine völlig neuartige Konsistenz bekommen, knusprig und flauschig. Gebettet auf erfrischende Koriander-Limetten-Sojamayonnaise, wird daraus ein großer kleiner Gang (6 Euro). Wundersam gegarte Mairübe kommt in Form von Steakscheiben mit Salzpflaumenpulver (12,50), die Pilz-Matzeknödel in einer borschtschähnlichen Suppe sind von ebenso verblüffender Perfektion wie das tournierte Gemüse darin. Womöglich gut zu wissen: Einige Gänge verdanken ihre aromatische Wucht geschmortem oder rohem Knoblauch, der aber meist „gut eingebunden“ ist, wie Weinmenschen sagen würden. Apropos Wein: Die Getränkekarte und das Serviceverhalten sind hoffentlich nicht die endgültige Version

Info

Delicatessen, Schrankgasse 10, 1070 Wien, Tel.: +43/(1)2953865, Restaurant: Di–Sa: 17–22.30 Uhr, Bar: 18–2 Uhr.


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.