Culture Clash

Lenin und Benny Hill

Ein gemeinsamer Gedenktag eint den Tyrannen aus der Oberschicht und den Komiker des Arbeiterstands. Nachdenken über das Problem der Elite.

Heute vor 100 Jahren starb Lenin – und der britische Komiker Benny Hill wurde geboren. Ersterer hat, obwohl skrupelloser Massenmörder, in ausgewählten Kreisen immer noch einen guten Ruf. Die KPÖ Steiermark etwa hat einen Beitrag im Netz über „mindestens 100 Gründe, weshalb die Menschheit von Glück sagen kann“, dass es Lenin gegeben hat, und warum es ihn wieder geben sollte. Ein Grazer Studentenvertreter begründete 2009 sein Faible für den Sowjetführer so: „Ich mag seinen zynischen Humor.“

Benny Hills Humor war eher schlicht. Hill war einst der beliebteste britische Komiker, 1969 sahen weltweit mehr Menschen die „Benny Hill Show“ als die Mondlandung. Sie war perfekt und aufwendig inszenierter Klamauk mit Stereotypen en masse, in dem häufig Frauen große Heiterkeit auslösten, indem sie ihre Röcke verloren. Horden im Bikini verfolgten Hill im Zeitraffer am Ende jeder Show zu den hektischen Klängen von „Yakety Sax“. Als 1989 die Show abgesetzt wurde, galt sie als sexistisch, vulgär und aus der Zeit gefallen. Zwanzig Jahre lang war Hill auf britischen Fernsehsendern tabu.

Die Benny Hill Show war typische „working class comedy“ – von Leuten aus der Arbeiterklasse für Leute aus der Arbeiterklasse. Die Kritiker und vor allem die Komödianten der nächsten Generation – und deren Publikum – waren hingegen zumeist links mit akademischem Hintergrund. In der Kontroverse um Benny Hill figuriert prominent der Antagonismus zwischen „einfachen Menschen“ – als rechts wahrgenommen – und einer Elite, die immer neue kulturelle Codes entwickelt, die von den Einfachen immer schwerer zu verstehen und einzuhalten sind: „Man darf ja heute schon gar nichts mehr sagen.“

Auch der Elitist Lenin hat – in unvergleichlich mörderischer Dimension – immer neue Codes für wahre Sozialisten entwickelt, dank derer man jederzeit andere maßregeln, ausgrenzen und eliminieren konnte. Heute erfahren die „Ungebildeten“ Wokeness als ein undurchschaubares Instrument zu ihrer Deklassierung – von der Gendersprache über „cultural appropriation“ bis dahin, dass ein Koch heute Hitlers Geburtstag und Leibgericht kennen muss, um nicht durch Eiernockerln am 20. April in die Schlagzeilen zu geraten. In Zeiten, in denen sogar der ehrlich um Zusammenhalt bemühte Bundespräsident einen Teil der Wähler öffentlich „Ignoranten“ nennt, erstaunt es nicht, dass „Volkskanzler“ Wahlen gewinnen, das Eliteprojekt EU verdächtig wird – und der Boulevard eine biedere Reprise von Benny Hills ranzigen Shows als Sieg über „woke Bettnässer“ feiert.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com
www.diepresse.com/cultureclash

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.