Culture Clash

Rechts im Rechtsstaat

Die Umfragewerte der AfD gehen zurück. Ist das nun ein Beweis für die Wirkung und damit die Wichtigkeit der Demos gegen Rechts? Nicht unbedingt.

Seit den Großdemos gegen „Rechts“ streiten sich Kritiker und Befürworter. Ein Vorwurf lautet: Wer alle, die aus Frustration, Trauma oder Sorge eine rechte Partei wählen, öffentlichkeitswirksam aus dem Kreis der Anständigen verbannt, bediene eigentlich das Geschäft ebendieser Parteien. Man erzeuge einen Jetzt-erst-recht-Trotz. Die ersten deutschen Umfragen nach den Demos zeigen allerdings: Die Werte für die AfD sind gesunken. Nicht rasant, aber doch.

Angesichts der Tatsache, dass Menschen bei Umfragen versucht sind, jene Antwort zu geben, die sie für sozial erwünscht halten, könnte es auch sein, dass die Demos die Rechtswähler nicht bekehrt, sondern nur eingeschüchtert und ihr Gefühl der sozialen Unerwünschtheit verstärkt haben. Erstaunlich sind Details der ARD-Deutschlandtrend-Umfrage nach den Demos: Der Anteil jener, die die AfD für rechtsextrem halten, ist seit September von 72 auf 66 Prozent gesunken. Vielleicht die interessanteste Veränderung: Unter den AfD-Wählern ist der harte Kern, der sich nicht vorstellen kann, in den nächsten Jahren eine andere Partei zu wählen, von 39 auf 51 Prozent gestiegen.

Das reicht noch nicht für eine belastbare Analyse. Aber aufs Erste sieht es so aus, also würden die Demonstrationen tatsächlich die Spaltung der Gesellschaft eher verfestigen. Das ist kein Argument  gegen Kundgebungen an sich: Die Remigrations-Fantasien im Umfeld der AfD sind Grund genug, auf die Straße zu gehen, Umfrageeffekt hin oder her. Problematisch erscheint mir nur die Ausweitung des Protestgegenstandes vom Rand der AfD auf die amorphe Gruppe „Rechts“. Nicht nur, weil Massenvertreibungen historisch kein bloß rechtes Phänomen sind (ich erinnere an die versuchte Ausweisung aller Kriegsflüchtlinge 1919 durch den sozialdemokratischen Landeshauptmann Albert Sever oder an die Vertreibung von bis zu 250.000 Deutschen zur selben Zeit aus Elsass-Lothringen durch die bürgerliche Linke unter Poincaré und Clemenceau).

Vielmehr scheint mir gefährlich, wenn Parteien und Bewegungen, die von Gesetz und Gerichten für legal befunden werden, von der Straße für illegitim erklärt werden. Wenn unsere Gesetze nicht ausreichen, um Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit zu schützen, gehören sie verbessert. Wenn unsere Gerichte schlafen, gehören sie aufgeweckt. Aber allen Menschen, die sich als rechts verstehen oder Rechte wählen und damit nichts Verbotenes tun, das moralische Recht zum Mitspielen abzusprechen: Diese Taktik erweist der Demokratie keinen Dienst, egal ob erfolgreich oder nicht.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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