Anzeige
Seltene Erkrankungen

Der Wunsch nach politischem Gehör

Die Teilnehmer:innen am AHF-NetUp, das im Parlament am 29. Februar stattfand: Gerhard Jelinek, Leiter der Wiener Pflege- und Patient:innenanwaltschaft (WPPA), Dominique Sturz, Obfrau-Stv. von Pro Rare Austria, Christoph Hörhan (Diskussionsleiter), Gründer des Austrian Health Forum, Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Abteilung Kinder- und Jugendheilkunde an der Medizinischen Universität Wien und Leiterin des Zentrums für seltene Erkrankungen, Otto Rafetseder, Koordinator Zielsteuerung Gesundheit beim Wiener Gesundheitsfonds.
Die Teilnehmer:innen am AHF-NetUp, das im Parlament am 29. Februar stattfand: Gerhard Jelinek, Leiter der Wiener Pflege- und Patient:innenanwaltschaft (WPPA), Dominique Sturz, Obfrau-Stv. von Pro Rare Austria, Christoph Hörhan (Diskussionsleiter), Gründer des Austrian Health Forum, Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Abteilung Kinder- und Jugendheilkunde an der Medizinischen Universität Wien und Leiterin des Zentrums für seltene Erkrankungen, Otto Rafetseder, Koordinator Zielsteuerung Gesundheit beim Wiener Gesundheitsfonds.Ben Kaulfus
  • Drucken

Nicht nur medizinische Fortschritte machen Hoffnung. Eine Expert:innendiskussion über rechtliche und politische Ansätze zur Verbesserung von Sichtbarkeit, Diagnose und Versorgung. 

In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung dann als selten, wenn sie bei nicht mehr als fünf Personen pro 10.000 Einwohner auftritt. Obwohl die meisten der rund 8000 derzeit bekannten verschiedenen seltenen Erkrankungen (SE) nur wenige oder einzelne Menschen betreffen, sind es zusammengenommen viele.

Laut der Datenbank von Orphanet, dem internationalen SE-Netzwerk, ist weltweit von 300 Millionen Betroffenen auszugehen, europaweit von 30 Millionen und in Österreich von zumindest 450.000 Personen. Rund die Hälfte der Erkrankten sind Kinder − und etwa 30 Prozent von ihnen versterben vor ihrem fünften Geburtstag.

Langer Weg zur Diagnose

Gemessen an der Anzahl der SE gibt es nur wenige Wissenschaftler:innen oder Unternehmen, die an der Erforschung von Ursachen und an der Entwicklung von Behandlungs- oder sogar Heilungsmöglichkeiten arbeiten. Zu den besonderen Herausforderungen im Gesundheitssystem zählt der lange Weg bis zur Diagnose.

Im Durchschnitt braucht es fünf Jahre und viele Arztbesuche, bis Betroffene ihrem Leiden einen Namen geben können. Dazu kommt, dass aktuell nur für sechs Prozent der 8000 SE eine spezifische Therapie zur Verfügung steht. Die Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit für ein Mehr an Forschung zur Entwicklung neuer Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten, für einen gesicherten Zugang zu Therapien sowie die bestmögliche Versorgung aller Patient:innen.

Aktuelle Themen

Den seltenen Tag eines Schaltjahres, den 29. Februar, nahm das Austrian Health Forum zum Anlass, um im Rahmen des internationalen Rare Disease Day 2024 die Situation rund um SE näher zu beleuchten. Mit Entscheidungsträger:innen aus der Ärzteschaft, der Politik und der Patient:innenvertretung wurde darüber diskutiert, was es braucht, um die Versorgungssituation der Betroffenen zu verbessern und dabei vom Reden ins Tun zu kommen.

Der zentrale Fokus der Expert:innentalks lag auf besonders aktuellen Themen: der European Health Data Space (Europäischer Raum für Gesundheitsdaten, EHDS), das EU-Health Technology Assessment (EU-HTA; Prozess zur Bewertung von Gesundheitstechnologien) und das im Jänner 2024 in Kraft getretene Gesetz zum sogenannten Medikamenten-Bewertungsboard. Erörtert wurde, welchen Einfluss diese neuen Ansätze auf die Sichtbarkeit, Diagnose und Versorgung haben können und welche Chancen und Herausforderungen sich für die Betroffenen ergeben.

Astrid Jankowitsch, Head Public Policy des AHF-Eventpartners Takeda.
Astrid Jankowitsch, Head Public Policy des AHF-Eventpartners Takeda.Ben Kaulfus

Betroffene einbinden

„Menschen mit seltenen und komplexen Erkrankungen haben viel zu oft einen langen Weg bis zur Diagnose und in weiterer Folge zur zielgerichteten Behandlung. In dieser Zeit entstehen bereits Folgeschäden, die für das Gesundheitssystem kostenintensiv sind und für die Betroffenen enormes Leid verursachen“, betonte eingangs der Diskussion Astrid Jankowitsch, Head Public Policy des AHF-Eventpartners Takeda, einem Pharmaunternehmen, das seinen Schwerpunkt auf seltene und komplexe Erkrankungen legt. „Wenn die Behandlungspfade besser an die Bedürfnisse der Patient:innen angepasst werden – und dazu braucht es jedenfalls deren direkte Einbindung –, dann ist das eine nachhaltige Verbesserung für die Menschen und das Gesundheitssystem“, so Jankowitsch weiter.

Zügigere Diagnosen und mehr Therapien für Menschen mit SE sind auch die zentralen Wünsche von Dominique Sturz, Obfrau-Stellvertreterin von Pro Rare Austria, dem Dachverband für Patient:innenorganisationen und Selbsthilfegruppen. Zu den dringenden Handlungsfeldern zählt laut Sturz die Verknüpfung von Daten, wie sie der European Health Data Space Act vorsieht: „In Österreich herrscht diesbezüglich Nachholbedarf. Wir brauchen ein Bekenntnis zu einem österreichweiten Gesundheitsdatenraum und einem SE-Register. Von den Betroffenen sind, so eine jüngste Umfrage, 96% bereit, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, damit die Forschung und Therapieentwicklung vorangetrieben werden kann. An den Patient:innen scheitert es also nicht.“ Hoffnungen setzt die Mutter eines Kindes, das an einer SE leidet, auch in das EU-HTA und die Arbeit des Bewertungsboards, kritisiert allerdings zugleich, „dass Patient:innen und ihre Vertretergruppen in diesen Prozess zu spät und zu wenig einbezogen werden“.

Medizinische Fortschritte

Eine wesentlich stärkere Einbindung von Betroffenen und Selbsthilfegruppen in allen Bereichen wünscht sich ebenfalls Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Abteilung Kinder- und Jugendheilkunde an der Medizinischen Universität Wien: „Wenn wir von Entscheidungsträger:innen sprechen, dann ist im Idealfall von national und international bestens vernetzten Ärzt:innen die Rede, aber natürlich auch von den Patient:innen und Angehörigen, auf deren persönlichen Erfahrungsschatz bei allen wichtigen Maßnahmen und Entscheidungen zurückgegriffen werden sollte. Wir alle zusammen können eine starke Stimme bilden, um bei der Politik Gehör zu finden.“

Die Koordinatorin für Rare Diseases am AKH Wien und Leiterin des Zentrums für seltene Erkrankungen blickt dabei positiv in die Zukunft: „Wir dürfen bei allen erschreckenden Zahlen rund um das Thema nicht übersehen, wie groß die Fortschritte sind, die in Forschung und Medizin gemacht wurden. Noch vor wenigen Jahren gab es praktisch keine Therapien, und Betroffene mussten nicht fünf Jahre lang, sondern oftmals ein Leben lang auf eine Diagnose warten. Heute gibt es gute (Gen-)Therapien, die bei manchen Erkrankungen nicht nur Symptome lindern, sondern heilend wirken.“ Greber-Platzer hebt zudem den Erfolg des Neugeborenen-Screenings hervor: „Wir screenen in Österreich 31 Erkrankungen und nehmen diesbezüglich eine führende Rolle in Europa ein.“ Die frühe Diagnose, noch vor Auftreten der ersten Symptome, könne bei manchen Erkrankungen lebensrettend sein.

Ein Board im Fokus

Einig sind sich die Expert:innen, dass Betroffenen österreichweit ein einheitlicher Zugang zu den bestmöglichen Therapien ermöglicht werden muss, unabhängig vom Bundesland. Den Weg dorthin soll laut dem Bundesministerium für Gesundheit u.a. ein Medikamenten-Bewertungsboard ebnen, das ausgewählte hochpreisige und spezialisierte Arzneispezialitäten und sonstige hochspezialisierte Therapieformen vor deren Anwendung in Spitälern prüft. „Derzeit verhandelt noch jeder einzelne Spitalsträger individuell mit der Pharmaindustrie über den Einsatz neuer Arzneimittel. Das führt dazu, dass Arzneimittel im Spitalswesen regional unterschiedlich zur Verfügung stehen“, erläutert Otto Rafetseder, Koordinator Zielsteuerung Gesundheit beim Wiener Gesundheitsfonds. „Mit dem Bewertungsboard wird der Einsatz eines neuen Medikaments nach sachlichen und wissenschaftlichen Kriterien geprüft. Bewertet wird der Zusatznutzen einer neuartigen Therapie im Vergleich zu bestehenden Alternativen. Danach werden Empfehlungen ausgesprochen.“

Rafetseder ist zuversichtlich, dass damit ein Schritt hin zur evidenzbasierten Anwendung von Arzneimitteln getan wird, „und dass jeder Mensch wohnortunabhängig behandelt werden kann“. „Das Board ist ein positiver Ansatz, bei dem es im Detail aber noch einiges zu kritisieren gibt“, meint dazu Gerhard Jelinek, Leiter der Wiener Pflege- und Patient:innenanwaltschaft (WPPA). „Problematisch finde ich im Gesetzestext zum Board den hohen Stellenwert des wirtschaftlichen Aspekts, wo man doch vor allem und zuerst über den medizinischen Zusatznutzen sprechen müsste. Kritisch sehe ich auch die mangelnde Transparenz des Mediums, da das Board selbst bestimmen kann, ob und wie eine Empfehlung veröffentlicht wird.“ Den wichtigsten Mangel sieht Jelinek aber in der Zusammensetzung des Boards: „Bei den Mitgliedern herrscht ein Übergewicht an Personen, die vor allem ökonomische Aspekte im Auge haben. Es gibt zu wenige ärztliche Expert:innen und die Patient:innenanwaltschaft hat zwar ein Anhörungsrecht, aber keine Stimme.“

Blick nach vorne

Mit Spannung blicken alle Stakeholder des Gesundheitswesens in Anbetracht der anstehenden Europa- und Nationalratswahlen in die nahe Zukunft. Wünsche und Anregungen an die alten und neuen politischen Entscheidungsträger:innen gibt es beim so wichtigen Themenkreis der seltenen Erkrankungen genug. „Ich wünsche mir seitens der Politik, dass sie SE mehr Beachtung schenken. Das bedeutet zugleich, dass alle Expert:innen an einem Strang ziehen müssen, um gemeinsam für dieses Gehör der Politik zu kämpfen“, so Susanne Greber-Platzer.

Gerhard Jelinek denkt beim Blick nach vorn an den Bundesgesetzgeber und daran, wie die nächsten Reformschritte tatsächlich gelebt werden: „Entscheidend wird sein, wie Sozialversicherungsträger, Länder und Bund ihre Möglichkeiten nutzen, um gemeinsam das Patient:inneninteresse in den Vordergrund zu rücken.“ Das Interesse der Betroffenen steht naturgemäß auch für Dominique Sturz an erster Stelle. Um deren Anliegen Gehör zu verschaffen, wünscht sich die Pro-Rare-Austria-Vertreterin „ein Hearing vor dem Gesundheitsausschuss im Parlament, um noch vor der Regierungsumbildung alles Relevante aus Sicht der Patient:innen vorbringen zu können“.

Information

Der Beitrag beruht auf einer Medienkooperation mit der „Presse“ und ist mit finanzieller Unterstützung von Takeda entstanden. 


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.