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Interview

„Die Grenzen des Machbaren definieren“

Martin Schiefer, Gründer der auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte, fordert strenge ethische Standards für die großen Plattform-Betreiber wie X oder Facebook.
Martin Schiefer, Gründer der auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte, fordert strenge ethische Standards für die großen Plattform-Betreiber wie X oder Facebook. Caio Kauffmann
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Vergaberechtsexperte Martin Schiefer, Schiefer Rechtsanwälte, fordert einen Schulterschluss für digitalen Humanismus: Demokratie brauche verlässliche Daten, um stabil zu funktionieren.

„Die Presse“: Es gibt immer mehr Kritik an den Schattenseiten der Digitalisierung. Kann diese die demokratischen Grundwerte gefährden?

Martin Schiefer: Ich bin davon überzeugt, dass genau das passiert. Dafür muss man gar nicht ins Ausland blicken: Auch unsere Demokratie in Österreich wird bereits durch gefälschte Daten und Falschinformationen verschmutzt – und auch hier sind Attacken aus Russland im Vorfeld der Nationalratswahlen bereits ein heißes Thema.

Warum braucht es den Fokus auf Grundwerte, Ethik und Moral bei technologischen Lösungen – also einen digitalen Humanismus?

Wir müssen als Gesellschaft bei jeder Regelung der Digitalisierung die Gefahren für das gesamtstaatliche Gemeinwohl in Fokus stellen und nicht nur an den Konsumentenschutz denken. Denn, und das ist in Österreich eine Besonderheit: Bei uns vertrauen die Menschen dem Staat – noch. In den USA vertraut die Bevölkerung bereits jetzt mehr den großen Plattformen wie Facebook und X als den demokratischen Institutionen. Dort war die Entwicklung noch ungeregelter und deswegen sind jetzt auch die Probleme größer, siehe das Thema mit der Manipulation der Präsidentschaftswahlen aus Russland.

Die EU reguliert mit dem AI Act die künstliche Intelligenz (KI), die USA wollen TikTok verbieten. Vorboten eines Schulterschlusses für digitalen Humanismus?

Ja, und auch der Digital Service Act der EU und die neue Cybersicherheit-Richtlinie NIS2 sind wirkungsvolle Instrumente. Wir müssen den digitalen Humanismus auf allen Ebenen umsetzen und die Grenzen des Machbaren klar definieren: Niemand wird sich dagegen wehren, dass KI in der Krebsforschung zum Einsatz kommt, aber es wird auch niemand wollen, dass die Nachrichten von KI generiert werden. Zudem muss neben der Software auch die Hardware reguliert werden. Wenn der Kühlschrank gehackt wird oder das Auto die Daten des Fahrers „klaut“ und an fremde Mächte verkauft, schädigt das die Demokratie letzten Endes genauso wie Fake News. Wir merken auch in unserer Praxis, dass das Thema bei der öffentlichen Hand sehr intensiv diskutiert wird und digitaler Humanismus auch bei großen öffentlichen Vergaben ein Kernpunkt wird.

Dennoch warnen viele, dass die Überregulierung in Europa Innovationen verhindert. Ist diese Argumentation angebracht?

Warum muss man Gesetze und Moral missachten, um Erfolg zu haben? Niemand würde ein Atomkraftwerk bauen ohne ent­sprechende Kühlsysteme. Darum geht es beim digitalen Humanismus: Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung verantwortungsvoll umzugehen. Kompliziert ist nicht dasselbe wie überreguliert – und was zulässig ist, wird auch gemacht, da dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben. Gerade große Plattformen, die auf schnelles Wachstum, Kundenfrequenz und Akquise ausgerichtet sind, werden ihre Schlagkraft auch zu Lasten der Datensicherheit erhöhen wollen. Und wenn jemand erst Opfer eines Datenlecks wird oder Rechtsansprüche gegen eine Plattform aus Asien durchzusetzen versucht, wird er merken, dass verlässliche Daten einen hohen Stellenwert haben. Ohne Geld keine Innovation: Wir brauchen einen sicheren Wirtschaftsstandort, wo Menschen einander vertrauen können und so Wirtschaft und Gesellschaft einander stärken. Das zu schaffen, ist die Kernaufgabe der EU.

Wie schafft der Gesetzgeber den Spagat zwischen der Laissez-faire-Mentalität und Überregulierung?

Der Spaß hört dort auf, wo es um unsere Werte geht. Dort muss der Gesetzgeber immer regulierend eingreifen. Wann wird es zu viel? Dann, wenn die Regeln so überbordend werden, dass die Wirtschaft darunter leidet und Wachstum verhindert wird. Aber selbst dort, wo zu viel reguliert wurde, ist noch nicht Hopfen und Malz verloren: Regeln, die von Menschen gemacht werden, können von diesen auch wieder angepasst werden – wie schon die Nachevaluierung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erfolgreich gezeigt hat.

Gerade die DSGVO hat trotz der Kritik an den Strafen sehr viel Bewusstseinsveränderung erwirkt: Immer mehr Menschen merken, was ihre Daten wert sind . . .?

Ich finde, die DSGVO ist insgesamt positiv zu sehen und in der Tat sind persönliche Daten in der Einflusssphäre der DSGVO sicherer als in Ländern, wo es laschere Vorgaben gibt. Was die Kritik betrifft: Viele, die die DSGVO laut bemängeln, geben ihre Daten auf Plattformen wie LinkedIn, X, TikTok, Facebook usw. ohne einen Hauch von Bedenken frei und haben 1234 als Passwort – und selbst diese Kritiker werden durch die strengen DSGVO-Vorgaben geschützt.

Wo braucht es digitalen Humanismus besonders? Welche Werte sind am meisten in Gefahr? 

Alle Themen des öffentlichen Diskurses stehen unter Dauerbeschuss. Die Manipulation ist alltäglich und wird immer stärker: Denken Sie nur an die Sicherheit von Impfstoffen oder an den Klimawandel . . . Wir müssen uns als Gesellschaft darauf verlassen können, dass die Informationen und Daten, die wir zu Gesicht bekommen, authentisch sind. Das ist in einem Umfeld, wo selbst Politiker Opfer von Deepfake- und Voicefake-Angriffen werden können, nicht mehr selbstverständlich. Informationen, die anonym sind und ohne Quelle daherkommen, könnten auch von Chat GPT oder einer Trollfabrik in Russland stammen. Alles, was das Vertrauen in die Institutionen untergräbt, destabilisiert die Demokratie. Deshalb braucht es Diskussionen über digitale Ethik und einen klaren Fokus auf digitalen Humanismus: Wir müssen unsere Gesellschaft schützen.

»Digitale Unternehmen haben eine Verantwortung, europäische Werte zu verteidigen.«

Martin Schiefer

Schiefer Rechtsanwälte

Schiefer Rechtsanwälte 

Vergaberecht neu denken: Schiefer Rechtsanwälte begleitet Vergabeprozesse von der Ursprungs­idee bis zum erfolgreichen Abschluss und deckt dabei auch relevante Bereiche wie Beihilfenrecht, Wettbewerbsrecht und Strafrecht ab – aber auch rechtliche Aspekte der Digitalisierung sowie „Claim- und Anti-Claim-Management“, also die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung im Streitfall. Die Kanzlei fokussiert sich mit rund 50 Mitarbeitenden und Niederlassungen in ganz Österreich auf die Beratung öffentlicher Auftraggeber.

www.schiefer.at


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