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Diskussion

Auf Wettbewerb und Wohlstand vergessen

Talk@Raiffeisen-Gastgeber Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank OÖ AG, Angelika Winzig, Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Moderatorin Birgit Brunsteiner, Christoph M. Schneider, Geschäftsführer Economica.
Talk@Raiffeisen-Gastgeber Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank OÖ AG, Angelika Winzig, Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Moderatorin Birgit Brunsteiner, Christoph M. Schneider, Geschäftsführer Economica.RLB OÖ
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Talk@Raiffeisen. Europa rutscht in der Weltwirtschaft immer weiter ab. Vor allem beim Arbeitseinsatz besteht großer Aufholbedarf – besonders in Österreich, um als Industriestandort zu bestehen.

Am 21. März wurde der traditionelle Talk@Raiffeisen live aus dem Raiffeisen Forum übertragen. Eine Kooperationsveranstaltung zwischen Raiff­eisenlandesbank OÖ und Indus­tri­ellenvereinigung OÖ. „Wie bleibt Europa wettbewerbsfähig?“, lautete das Motto. Ein brisantes Thema, denn Europa verliert massiv an ­internationaler Wettbewerbsfähigkeit. In Österreich spürt man das stark. Die Industriellenvereinigung fordert, dass die Politik Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen setzt, um eine Firmenabwanderung zu vermeiden.

Birgit Brunsteiner begrüßte als Moderatorin neben dem Gastgeber Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank OÖ AG, Angelika Winzig, Abgeordnete zum Europäischen Parlament, und Christoph M. Schneider, Geschäftsführer Economica. Letzterer startete die Veranstaltung mit einem Impulsreferat, in dem er einen groben Überblick über den Stand der Weltwirtschaft gab. „Wir leben in turbulenten Zeiten und diese Turbulenzen werden uns über viele Jahre begleiten“, sagte Schneider. Zu den Turbulenzen im Bereich Umwelt und Energie gesellen sich u. a. gesellschaftlicher und technologischer Wandel. „All diese Themen führen zu großer wirtschaftspolitischer Unsicherheit.“ Lange galt Europa als Standort, der für Stabilität steht. Das hat sich mittlerweile verändert und die USA schlüpft in diese Rolle. In China wächst die wirtschaftspolitische Unsicherheit besonders stark – mit Konsequenzen für alle Marktteilnehmer in Form von höheren Kosten. Das bremst Wirtschaftswachstum. „Historisch gesehen befindet sich das Weltwirtschaftswachstum auf einem Tiefpunkt.“

Europas Wirtschaftsmacht wird immer geringer. Während China auf 30 Prozent der Weltwirtschaftsproduktion zuschreitet, sinkt Europa in Richtung zehn Prozent. „Vor allem die südasiatischen Länder legen stark zu.“ Aus diesem Grund sieht Schneider die besondere ­Herausforderung, dass Europa vor allem in den Bereichen Energie und Wissen aufholen muss. „Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Länder, die Energie und Wissen ­beherrschen, sich am schnellsten und fortschrittlichsten entwickelten.“

Produktiver werden

Mittlerweile leben rund acht Milliarden Menschen auf der Erde. Mehr als 60 Prozent davon sind auf den asiatischen Kontinent verteilt. In Europa sind es gerade einmal neun Prozent. Hier schrumpft die Bevölkerung sogar und das bedeutet auch einen Rückgang der Produktivitätsentwicklung. Hinzu kommt das Problem der Demografie. Wir werden immer älter. Während in Indien etwa die Zahl der erwerbstätigen Bevölkerung steigt, nimmt sie in Europa ab.

Hierzulande gehen die erwerbstätigen Menschen früher in Pension und die Zeit der Inaktivität wird mehr. „Für eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit brauchen wir eine größere Produktivitätsentwicklung und mehr Aktivität bei der Erwerbstätigkeit“, sagte Schneider in seiner Keynote und sprach sich für stärkere Kooperationen aus, um kritische Größen zu erreichen.

Wichtig ist aber auch, dass Europa attraktiv für Migration wird und qualifizierte Fachkräfte angezogen werden. „Wir sollten die bestehende Diversität nutzen, weil qualifizierte Migration nachweislich Innovation und Unternehmertum vorantreiben.“

Die Qualität wird vor allem über Universitätsrankings sichtbar. Unter den Top-20-Universitäten befindet sich keine Schule aus der Europäischen Union. Selbst unter den Top-100 schrumpft die Zahl der ­EU-Teilnehmer. Schneider betonte aber auch, dass für die Zukunft entscheidend ist, in welche Bereiche investiert wird. „Um Produktivitätssteigerungen zu erzielen, muss vor allem in immaterielle Vermögensgüter investiert werden, wie etwa KI, Design usw.“ Hier liegt ­Europa deutlich unter dem globalen Schnitt. „Europa ist gut in den Themen Nachhaltigkeit und Inklusion, aber man hat in den letzten Jahren auf Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand vergessen.“

Zu viel Bürokratie

In der anschließenden Diskussion kam deutlich zum Ausdruck, dass die EU von einer Wirtschaftsunion zu einer Überregulierungsbehörde verkommen ist. „Von unseren Industriekunden wissen wir: Wenn sie über Expansionen nachdenken, kommt der europäische Markt nicht vor. Das sollte als Alarmsignal wahrgenommen werden“, sagte Schaller. „Denn es zeigt, dass es bei uns zu viel Bürokratie gibt. Regelmäßig kommen neue Regulierungen hinzu, die das Leben für Unternehmen massiv erschweren.“ Problem ist, dass im europäischen Parlament viele Abgeordnete mit abstimmen, die über keinen wirtschaftlichen Background verfügen und somit zielführenden Maßnahmen im Weg stehen. „Das Wort Wettbewerbsfähigkeit habe ich in den Gängen des Parlaments bisher nicht gehört“, sagte Abgeordnete Winzig. „Stattdessen wurde ständig über den Green Deal gesprochen. Der hat mit zusätzlichen Reportingverpflichtungen sicher auch dazu geführt, dass es für Unternehmer schwieriger geworden ist. Aber ich glaube, dass etwa der Inflation Reduction Act einige im EU-Parlament aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat.“ Auch Schneider würde es begrüßen, wenn mehr Menschen mit Wirtschaftskompetenz an den politischen Hebeln sitzen würden. „Das Lieferkettengesetz ist ein Beweis dafür, dass man falsch reguliert. Die Regulierungszunahme hat einen wesentlichen Anteil an der Abnahme der Produktivitätsentwicklung.“

Für Schneider sind es vor allem drei Aspekte, die dringend angegangen werden müssen. Erstens: Die Besteuerung ist deutlich zu hoch. Zweitens: Die Verwaltung muss reduziert und die Verwaltungseffizienz gesteigert werden. Drittens müssen Arbeitseinsatz und Leistungsbereitschaft durch verbesserte Anreize erhöht werden. Irland könnte als Vorbild wirken. Dort siedeln sich durch reduzierte Steuern internationale Unternehmen an. 

EZB trägt Mitschuld

Wenn sich die Inflation zu lange auf hohem Niveau befindet, dann leidet darunter die Wirtschaft. Für Schaller hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Negativzins­phase viel zu lange aufrechterhalten. „Die Zinsen wurden zu spät angehoben. Der Krieg in der Ukraine hat natürlich massiv dazu beigetragen, dass die Energiepreise in die Höhe gestiegen sind, aber es gab schon vor Kriegsausbruch eine Inflation von über vier Prozent, ohne dass die EZB eingegriffen hat. Als Hüter der Währung und der Stabilität des Finanzwesens ist die EZB hier ihren Aufgaben nicht nachgekommen.“

Trendumkehr ist möglich

In Österreich ist vor allem die sinkende Leistungsbereitschaft ein weiteres Thema, das das Wirtschaftswachstum bremst. Teilzeit wird immer beliebter – auch für Personen ohne Betreuungspflichten. „Wir haben ein Problem, Leistung attraktiv zu machen“, sagte Schaller und appellierte an den Gerechtigkeitsgedanken. „Menschen, die bereit sind, mehr zu arbeiten, sollten nicht mit zusätzlichen Steuern bestraft werden, sondern für ihre Leistungsbereitschaft belohnt werden.“  Auch Winzig betonte, dass sie sich hier in der Politik stark machen werde. „Es müssen klare Anreize geschaffen werden. Der Bedarf einer Lohnnebenkostensenkung ist gegeben.“

Umso beachtlicher, dass Österreich angesichts der bestehenden Rahmenbedingungen sich noch einigermaßen gut im Rennen hält. „Das ist der guten Basis zu verdanken, die in der Vergangenheit geschaffen wurde“, sagte Schneider. Doch ohne neue Anreize wird diese Basis immer schwächer. „Werden über eine gewisse Zeit keine Anreize gesetzt, um die Leistungsfähigkeit und den Arbeitseinsatz zu fördern, wird die Leistung abnehmen und Österreich fällt international zurück.“

„Ich glaube, die Politik hat verstanden, worauf es jetzt ankommt“, sagte Winzig. Es braucht Signale für einen gesicherten Industriestandort, damit es statt „Industriestandort Österreich“ nicht eines Tages heißt: Industrie stand dort.

Information

Die Podiumsdiskussion ist eine Kooperation von „Presse“, Industriellenvereinigung OÖ und Raiffeisenlandesbank OÖ. Mit finanzieller Unterstützung.


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