Culture Clash

Auch Hetze gegen Hetze ist vor allem Hetze

Die belgische Polizei musste das Claridge Hotel am 16. April in Brüssel bewachen, weil es zu Protesten gegen eine dort stattfindende Konferenz von Rechtskonservativen kam.
Die belgische Polizei musste das Claridge Hotel am 16. April in Brüssel bewachen, weil es zu Protesten gegen eine dort stattfindende Konferenz von Rechtskonservativen kam. APA / AFP / Simon Wohlfahrt
  • Drucken
  • Kommentieren

Poppers Paradoxon und die Weimarer Republik. Wenn uns die Freiheit lieb ist, dürfen wir weder die Intoleranz der Intoleranten hinnehmen noch uns an die Intoleranz der Toleranten gewöhnen.

Letztens habe ich hier über eine Konferenz in Brüssel berichtet, die der Bürgermeister ohne Rechtsgrundlage durch die Polizei auflösen lassen wollte, weil ihm die Teilnehmer (zum Beispiel Viktor Orbán) zu rechts waren. Ich fand gut, dass ein Gericht ihm das verwehrt hat, weil in der Demokratie der Sieg durch Argumente und Charakter errungen werden sollte und nicht durch das Recht des Stärkeren. Wenn man so etwas sagt, bekommt man allerdings unweigerlich von Lesern das „Toleranz-Paradoxon“ reingewamst.

Dieser Ausdruck geht auf eine Fußnote des Philosophen Karl Popper zurück: Um die Toleranz zu schützen, müsse man jenen gegenüber intolerant sein, die Intoleranz predigen (indem sie laut Popper zur Verweigerung des Diskurses aufrufen und zum Gebrauch von „Fäusten und Pistolen“). Das ist allerdings ohnehin unumstritten. Spannender ist die Frage, wer „man“ ist, und wer beurteilen darf, wer nun die Intoleranz-Prediger sind.

Für Popper ist das klar: Das darf jeweils nur der gut kontrollierte, neutrale Rechtsstaat sein. Nicht der Nachbar, die Runde der Chefredakteure, die Regierungspartei oder der brave Bürgersmann. Die eigentliche Problematik wird aber an Poppers Kriterium deutlich, dass die Staatsgewalt nur als Ultima Ratio die Rechte einzelner Gruppen beschneiden darf. Wenn sich hier Exzess und Willkür breitmachen, führt die Bekämpfung der Intoleranz zu dem, was sie verhindern will – zu einer intoleranten Gesellschaft.

Man kann das sehr gut an der Weimarer Republik sehen. Sie war im Anfang ein Rechtsstaat, der aber systematisch durchlöchert wurde, beginnend mit verfassungsbrechenden Notstandsgesetzen der 1920er-Jahre und einer ungleichen Behandlung linker und rechter Gewalttäter vor Gericht. Der Angstgegner, angesichts dessen es für brave Bürger immer normaler wurde, den Regierenden besondere Vollmachten zu gewähren, war damals der intolerante Kommunismus. Und die – durchaus nicht unberechtigte – Sorge vor den Kommunisten hat auch noch ein wichtiges Motiv für die bürgerlichen Parteien abgegeben, als sie 1934 zu ihrer großen Schande dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt haben, das der Nazi-Regierung diktatorische Vollmachten verschafft hat.

Die, denen die Forderung nach Rede- und Versammlungsverboten und der Ruf nach Handschellen und Schlagstöcken behagen, sollten sich daher prüfen, ob sie nicht zu denen werden, vor denen uns Popper gewarnt hat. Und auch Hetze gegen Hetzer ist vor allem einmal Hetze, und der Rechtsstaat ist am resilientesten und wehrhaftesten, wenn er sich und sein liberales Fundament hochhält.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.