Der brutale Sturz ins Ego-Land

Stark: Xaver Bayers zweiter Roman, "Die Alaskastraße".

Er ist der Härteste der jungen österreichischen Autoren, Xaver Bayer, der nach seinem Debüt "Heute könnte ein glücklicher Tag sein" (2001) hier erneut beweist, dass er ein Fall für die Zukunft ist. Sein Ich-Erzähler gehört der heimischen Variante des Taugenichts und Tunichtguts an. Er sperrt nach Möglichkeit die Gesellschaft aus, beschäftigt sich mit dem eigenen Ich, das er schindet und quält, um es in größtmögliche Nähe zur wahren Existenz heranzuführen.

Der Ich-Erzähler entfernt sich von den Voraussetzungen, unter denen das Leben unter Menschen sinnvoll ist. Zuerst kündigt er seinen Job, dann wird ihm das Leben mit seiner Freundin unmöglich, und dann, zum einsamen Wolf geworden, zieht er sich zurück in die Wälder und massakriert seinen Körper. Dieser Erzähler, der so sehr in seinem Ich gefangen ist, dass er nicht einmal mehr einen Namen braucht, um sich abzuschotten, streift die Konvention ab. Das bürgerliche Leben mit all seinen Sicherheiten ist auf einmal nichts mehr wert. Die radikale Ich-Auffassung, die hier einer zu seiner Sache macht, gehorcht nicht mehr den allgemein verbindlichen Spielregeln, sondern ist den Wechselfällen eines Lebens unterworfen, das sich treiben lässt. Dieses Ich fällt Entscheidungen nicht, um sich durchzuschlagen. Es lässt sich auf Schwierigkeiten ein, um sich dem Unwägbaren auszusetzen.

Die Idee, die dieses Ich antreibt, ist so verlockend wie überzeugend. Hinter allen Handlungen, Gesten, Verabredungen schimmert das Muster der Wiederholung durch. Alles, was Menschen tun und lassen, wie sie miteinander umgehen, ist vorgegeben. Der Spielraum ist eng, weil keiner ausschert. So wird jedes Leben zum rituellen Wiedergänger anderen Lebens, sperrige Eigenheiten, im tiefsten Inneren schlummernd, bleiben unangetastet, werden in den Giftschrank gesteckt. Aber auf einmal bricht einer aus aus dem Schema und schafft damit für sich die Tradition ab. Hier definiert sich einer als Ich dadurch, dass er sich der Anpassung und Unterordnung verweigert. Das führt ihn in die Isolation.

Xaver Bayer ist in seiner Haltung ein Anti-Handke, auch wenn er Handke-Melodien anklingen lässt. Er verfügt über den Blick für das Beiläufige, Nebensächliche, Ausgemusterte, ihn stört das "Verschwinden des Vergammelten und Unrentablen", weil mit "dem An-die-Stelle-Treten des Glitzernden und Transparenten, des Verchromten auch das Menschliche" im Rückzug begriffen ist. Einmal schaut sich Bayers Antiheld in einer Kirche ein Fresko an. Er kommentiert es mit Sätzen wie von Handke erdacht: "Das Haus, dessen Kanten nicht dem tatsächlichen Gefüge der Fluchtlinien entsprachen, war mir gefühlsmäßig näher, als wenn die Perspektive gestimmt hätte. Es kam mir vor, als wäre das Gemalte dadurch bedeutungsvoller und menschlicher." Wie eine Handke-Figur baut sich auch bei Bayer einer im großen Ego-Land abseits von Zivilisation und Kultur sein Heim. Aber bei Handke steht jeder Weltflüchtende auf dem Boden einer gewaltigen Tradition, aus der er sich Werte, Rituale und Gemeinsamkeit holt. Bayer lässt seinen Streuner durch die Welt so verloren dastehen wie selten jemand sonst in der Literatur. Sein Gegenleben entsteht ganz aus ihm selber heraus - ohne Vorbilder, auf die er sich verlassen kann, die ihm helfen könnten abzuschätzen, wie er eigentlich enden soll. [*]

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