Üben mit den Wiener Philharmonikern

Klassische Musik steht im Realgymnasium Neustiftgasse im Mittelpunkt. Nicht nur potenzielle Profis sind willkommen.

wien. Aus dem Festsaal des Gymnasiums in der Neustiftgasse klingt Streichmusik: das „Weihnachtsoratorium“ von Camille Saint-Saëns, harmonisch und ausdrucksstark. „Das sind unsere Schüler der Unterstufe“, sagt Direktor Christian Winkler und lächelt zufrieden. In der Schule steht die Musik im Mittelpunkt. Es werden zwar alle Fächer unterrichtet, wie auch sonst an einem Realgymnasium, allerdings in geringerem Stundenumfang. Die Nachmittage müssen schließlich frei sein – zum Üben.

Wer erwartet, dass hier Schüler mit Violine und Kontrabass durch die Gänge laufen, wird enttäuscht. Die Instrumente selbst werden nämlich nicht an der Schule unterrichtet. „Das wäre von der Zahl der Räume und der Lehrer, die wir dafür bräuchten, gar nicht möglich“, erklärt Winkler. In der Neustiftgasse werden nur theoretische Fächer – zusammengefasst unter dem Begriff „Musikkunde“ – und Orchester bzw. Chor unterrichtet.

Die verpflichtende Instrumentalausbildung muss privat organisiert werden. „Dafür haben wir nicht so viele Hausaufgaben wie an anderen Schulen“, meint die 14-jährige Johanna Lang, die Unterricht in Querflöte und Geige nimmt. Sie und ihre Freundin Melisa Yafet (15), Klavier- und Geige-Spielerin, wollen später Profi-Musikerinnen werden.

Studium parallel zur Schule

Mit diesem Wunsch sind die beiden Mädchen in dieser Schule nicht allein, Vorbilder gibt es genug. „26 Mitglieder der Wiener Philharmoniker haben bei uns maturiert“, berichtet Winkler stolz. Die Philharmoniker suchen auch den Kontakt zu den Schülern, nehmen an Orchesterproben in der Neustiftgasse teil.

Das Niveau der Schüler, die auch aus den Bundesländern kommen, ist hoch. 100 der gut 500 Schüler der Neustiftgasse beherrschen ihr Instrument schon vor der Matura so gut, dass sie an der Musikuni oder am Konservatorium studieren, meist im Rahmen von Vorstudiengängen. Manche singen im Opern-Kinderchor, andere sind ständig auf Konzerten oder arbeiten bei Projekten mit.

Rücksicht vor Wettbewerben

Die Lehrer der nicht-musikalischen Fächer müssen dann ihre Ansprüche schon einmal herunterschrauben. „Wenn die Schüler in den Probewochen (vor der großen Konzertaufführung der Schule im Großen Musikvereins-Saal, Anm.)besonders belastet sind, nehmen wir Rücksicht. Auch wenn ein Schüler sich auf einen Wettbewerb vorbereitet, sprechen wir uns ab“, so Ingeborg Womastek, Professorin für Latein und Geschichte.

Der Druck kann dabei ziemlich groß werden, gerade bei besonders begabten Schülern oder jenen mit extrem ehrgeizigen Eltern. Eine besondere Herausforderung ist auch die Pubertät. Winkler: „Da kann es passieren, dass die Jugendlichen das Instrument einfach hinschmeißen.“ Das ist dann der Todesstoß für eine Profikarriere.

Die schlagen schlussendlich übrigens erstaunlich wenige Schüler ein. Nur ein Drittel der Neustiftgasse-Absolventen arbeitet in der Musikbranche: als Musiker, Dirigenten, Komponisten, Manager oder Musikkritiker. Winkler stört das allerdings herzlich wenig. Schließlich richte sich die Schule nicht nur an potenzielle Profimusiker. „Wir wollen ein Kulturpublikum mit großem Allgemeinwissen erziehen.“

INFOBOX

www.mgw.atDas Musikgymnasium Wien wurde 1964 als Oberstufenrealgymnasium mit Musikschwerpunkt am Standort Wasagasse (9. Bezirk) gegründet.

1975 Umzug in die Neustiftgasse. 1994 um Unterstufe erweitert.

Die Aufnahme setzt das Bestehen eines Eignungstests voraus.

Tag der offenen Tür: 1.Dezember, 8-12 h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2007)


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