„Noch langer Weg zu Unabhängigkeit“

Der albanische Dissident Albin Kurti sieht Kosovo in einer Sackgasse.

Die Presse: Sie haben mit Ihrer Bewegung „Selbstbestimmung“ zum Boykott der Wahlen im Kosovo aufgerufen – und nicht einmal die Hälfte der Wähler hat am 17. November tatsächlich teilgenommen. War das ein Erfolg für Sie?

Albin Kurti: Es gab mehrere Gründe für die hohe Wahlenthaltung. Aber immerhin haben viele Leute nicht gewählt, weil sie – wie wir – das jetzige politische System nicht akzeptieren. Der von der UN-Mission im Kosovo aufgebaute Staat wird nicht als der eigene begriffen. Es gibt zwar keine offene Diktatur der UN-Mission. Für sie ist es besser, mittels willfähriger kosovarischer Politiker, die wegen ihrer Korruption erpressbar sind, die Interessen der internationalen Gemeinschaft durchzusetzen.

Mit unserer Bewegung „Selbstbestimmung“ ist es aber unruhig geworden. Deshalb versucht man, uns zu isolieren und speziell mich mundtot zu machen.

Die UNO stellte Sie nach den Demonstrationen im Februar vor ein Gericht und verurteilte Sie zu einer Haftstrafe und später zu Hausarrest. War das nicht rechtsstaatlich abgesichert?

Kurti: Nein, keineswegs. Mein Fall wurde von internationalen Richtern verhandelt. Eigentlich sind die nur zuständig für Kriegsverbrechen und für interethnische Konflikte, und beides trifft auf mich nicht zu. Ich habe kein Recht, Einspruch zu erheben oder mich an eine übergeordnete Instanz zu wenden.

Vielleicht doch. Sie könnten zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.

Kurti: Nein, denn die UN-Mission ist nicht europäisch.

Aber bald ist das doch alles Geschichte. Wahlsieger Hashim Thaçi hat versprochen, nach dem 10. Dezember zu handeln, und US-Präsident George W. Bush sprach von Unabhängigkeit noch in diesem Jahr. Das muss Sie doch freuen.

Kurti: Nicht so eilig. Unsere Führung wird die Unabhängigkeit nicht ausrufen, solange die internationalen Mächte sie ihr nicht zugestehen. Und George Bush hat selbst die amerikanische Öffentlichkeit belogen, warum sollte er hier nicht lügen?

Na ja, selbst EU-Chef-Außenpolitiker Javier Solana spricht jetzt von Unabhängigkeit.

Kurti: Das mag alles so aussehen, aber in Wirklichkeit sind wir in eine Sackgasse manövriert. Denn selbst wenn eine EU-Mission die UNO ablöste, bleibt es dabei: Kosovo wird von den internationalen Mächten kontrolliert. Wir brauchen aber einen echten Staat, wir wollen einen Sitz Kosovos in der UNO, wir wollen Kosovo in die EU bringen und nicht die EU als Beherrscherin in den Kosovo.


Was sind konkret Ihre Bedenken gegen die EU-Mission?

Kurti: Ich bin nicht generell gegen die Präsenz internationaler Institutionen hier. Die Europäische Union als Nachfolgerin der UNO wird zwar nur 2000 Leute hierher bringen, aber das werden in erster Linie Richter und Polizisten sein. Warum aber? Wir brauchen Lehrer, weil das Niveau des Ausbildungssystems noch zu niedrig ist, und wir brauchen auch Wirtschaftsberater und Investitionen.

Ein Problem ist auch, dass nur wir wir uns an die Regeln halten sollen, während die Serben das nicht zu tun brauchen. Dort (in den serbisch dominierten Gebieten im Norden Kosovos, Anm.), herrscht nach wie vor Belgrad. Zur Illustration: In den Albanergebieten gibt es zweisprachige Straßenschilder auf Serbisch und auf Albanisch, in den Serbengebieten hingegen nur auf Serbisch.

Es ist noch ein langer Weg zur wirklichen Unabhängigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2007)


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