Berlusconi kapert die Talkshows

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Der verurteilte Ex-Premier spielt sich vor der EU-Wahl wieder ins Zentrum des medialen Interesses. Doch beim Urnengang selbst kann seine Partei mit maximal 20 Prozent rechnen.

Rom. Mittlerweile also kennt der verurteilte Steuerbetrüger Silvio Berlusconi (77) sein Resozialisierungsprogramm: In der „Heiligen Familie“, einem katholischen Alten- und Behindertenzentrum vor den Toren Mailands, soll er einen Vormittag pro Woche in der Betreuung von Alzheimerkranken mitarbeiten. So hat es die Direktion dem neuen „ehrenamtlichen Helfer“ mitgeteilt. „Begleitung und Gesellschaft“ soll Berlusconi den Kranken leisten.

Damit ist auch die Hypothese vom Tisch, er könnte sein Showtalent zu eigenem höheren Ruhm in die Gestaltung fröhlicher Altennachmittage investieren. „Versucht doch mal, Demenzkranke mit Witzchen zu unterhalten, dann werden ihr schon sehen, was dabei herauskommt“, sagte Paolo Pigni, der Generaldirektor der Einrichtung, zu Journalisten – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Personen nicht einmal mehr ihre Angehörigen erkennen, geschweige denn Berlusconi.

Dieser beschwert sich nun auch, dass die ihm vom Gericht zugestandene politische Handlungsfreiheit doch nicht so weit reicht, wie es zunächst aussah. Gut drei Wochen vor der Europawahl steht Berlusconis wiederbelebte Forza Italia weit abgeschlagen auf dem dritten Platz hinter den Sozialdemokraten von Matteo Renzi und der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo.

Keine Erlaubnis für Auftritt

Berlusconi, der selbst nicht kandidieren darf, aber in allen Auftritten so tut, als ginge es allein um ihn, muss froh sein, wenn seine Forza Italia auf 20 Prozent kommt. Deshalb okkupiert er alle greifbaren Talkshow-Plätze im Fernsehen wie in alten Zeiten. Darüber hinaus will er im ganzen Land von Kundgebung zu Kundgebung reisen. Nur, das darf er nicht. Die Richter haben ihm die heimische Lombardei zugestanden und für drei Tage die Woche auch Rom. Für alles, was darüber hinausgeht, muss Berlusconi eine Sondergenehmigung beantragen, und für den geplanten Auftritt am kommenden Sonntag im apulischen Bari ist er damit schon einmal gescheitert.

Die Richter goutieren es gar nicht, dass Berlusconi seine Verurteilung nach wie vor als „monströs“ und als „politisch motivierten Staatsstreich“ bezeichnet. Der Staatsanwalt hat Berlusconi darauf hingewiesen, dass er mit solchen Äußerungen gegen die „Bewährungsauflagen“ verstoße – aber es kann sein, dass Berlusconi die Provokation gezielt einsetzt: Er könnte es laut Spekulationen darauf anlegen, dass die Richter seinen offenen Vollzug widerrufen und ihn für ein Jahr in Hausarrest stecken. „Sollen sie nur“, schiebt ihm die Zeitung „La Repubblica“ in den Mund: „Als Märtyrer kriege ich bei der Europawahl 30 Prozent!“

Das Einzige, was im italienischen Europawahlkampf europäisch ist, sind die Parolen gegen den Euro, gegen die „bürgerferne“ EU, gegen die deutsche Austeritätspolitik und gegen die Frau, die das alles „diktatorisch angeordnet“ habe: Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Bewahrt Italien vor dem Euro!“ – „Mehr Italien, weniger Deutschland!“: Mit solchen Slogans greifen vor allem rechtskonservative Parteien und der selbst ernannte Volkstribun Beppe Grillo offenkundige Stimmungen in der Wählerschaft auf, während Premier Renzi solche Strategien ablehnt.

In Wahrheit aber geht es allen, Renzi eingeschlossen, lediglich um ein innenpolitisches Kräftemessen. Grillo, der vulgäre Radikalpopulist, ist bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 zur mathematisch stärksten politischen Kraft geworden. Jetzt rechnet er mit weiterem Aufwind. Der Bürgerprotest gegen die etablierte Politik sei weiter gewachsen, sagt Grillo: „Wir werden einen Erdrutschsieg einfahren.“ Und am Tag nach der Auszählung, fordert Grillo heute schon, müsse der Staatspräsident ihn mit der nationalen Regierungsbildung beauftragen oder das ohnehin „illegitime Parlament“ für Neuwahlen auflösen.

Streit mit linkem Flügel

Renzi wiederum versucht mit einem Wirbel aus Ankündigung und Regierungsdekreten seinen Spitzenplatz zu halten. Soeben hat er Steuersenkungen durchgesetzt, die allen Geringverdienern just zum Zeitpunkt der Europawahl ein um 80 Euro höheres Monatseinkommen garantieren sollen.

Derzeit stürzt sich Renzi dazu noch auf ein besonders populäres Thema: den Abbau der öffentlichen Verwaltung und der Bürokratie – unter anderem will er Spitzenverdienern das Gehalt kürzen. Zur selben Zeit aber – vielleicht war der Zeitraum um den 1. Mai nicht eben der günstigste Termin – droht Renzis Gesetzespaket zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im Streit zwischen ihm als Reformer sowie den beharrenden, „arbeiterschützenden“ Kräften in den Gewerkschaften und beim linken Flügel der Sozialdemokraten zu versanden.

Kampf um Unentschiedene

Derzeit stehen die Umfragen so: Renzi, der in seinen kaum mehr als zwei Regierungsmonaten vor allem die Stimmung im Land gehoben, nicht aber die tatsächliche Wirtschaftslage verbessert hat, käme auf etwa 33 Prozent der Stimmen. Grillo liegt zwischen 24 und 27 Prozent, Berlusconis Partei zwischen 17 und 19,5 Prozent. Es gibt allerdings noch viele Unentschiedene; um diese vor allem tobt jetzt der Kampf. Mit weiteren aufsehenerregenden, skandalösen Attacken ist zu rechnen. Vor allem Berlusconi und Grillo sind Meister darin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2014)

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