Staatsreform: Die Frösche und ihr Sumpf

Blockade. Österreich braucht keine neuen Reformkommissionen, sondern Politiker, die die lähmende Umsetzungsblockade lösen und die vorliegenden Reformvorschläge umsetzen. An Schweden könnte man sich ein Vorbild nehmen.

Dass die Regierung in Sachen Staats- und Verwaltungsreform außer der Einsetzung immer neuer Kommissionen nichts auf die Reihe bringt, wissen wir unterdessen. Dass dieses Land, dessen Staatsschuldenquote ordentlich bilanziert (also mit Rückstellungen für bereits fixe zukünftige Sozialkosten) nicht bei 80, sondern jenseits von 200 Prozent des BIPs liegt, ohne umfassende Reformen mittelfristig finanziell katastrophal an die Wand fährt, auch. Da rollt eine Entwicklung wie in einer griechischen Tragödie scheinbar unaufhaltsam in Richtung Katastrophe.

Was tun, um das Steuer doch noch herumzureißen? Fragen wir einmal einen auf Sanierungen spezialisierten Berater, der auch schon Standortkonzepte entwickelt hat. Etwa den Österreich-Chef des globalen Consultingunternehmens AT Kearney, Robert Kremlicka.

Dessen Diagnose ist eindeutig: Es fehle nicht an Ideen und fertigen Konzepten. Aber es herrsche eine totale „Umsetzungsblockade“. Allen politischen Akteuren sei die Dramatik zwar bewusst. Sozialpartner und Bundesländer seien aber außerordentlich reformfeindlich. Der Bund sei „Geisel der Länder“, die Bedienung der eigenen Klientel habe Vorrang vor der Sorge um Österreich, die Öffentlichkeit werde aus durchsichtigen Motiven „nicht redlich informiert“.

Ein, wie Kremlicka selbst sagt, „erschreckender Befund“. Und was jetzt? Der Ansatz der Diskussion müsse sich grundlegend ändern, meint der erfahrene Sanierer. Man müsse die Realität erkennen, dass man weder den Föderalismus noch die agierenden Politiker und Sozialpartner einfach loswerden könne. Und es sei unrealistisch, dass „die Frösche der Austrocknung ihres Sumpfes zustimmen“.

Die Diskussion dürfe also nicht mehr um Einzelmaßnahmen gehen, die der herrschenden Klientelpolitik schon zum Opfer fallen, bevor noch die richtige Debatte beginnt.

Ein Beispiel könne man sich dabei an Schweden nehmen, dass nach einer schweren Krise in den Neunzigerjahren den Staatshaushalt erfolgreich und offenbar nachhaltig saniert hat. Dort habe man diese Blockaden mit einem „Top Down“-Ansatz gebrochen.

Eine Sanierung nach diesem Muster könnte so aussehen:
•Am Beginn steht ein öffentliches Commitment aller relevanten politischen Parteien zur Sanierung, das in ein Verfassungsgesetz mündet. In diesem Verfassungsgesetz werden die unverrückbaren „Leitplanken“ der Sanierung verpflichtend festgeschrieben.
•Diese Leitplanken (ein „Stabilitätspakt mit Biss“) enthalten verbindlich einzuhaltende Ziele. Die detaillierte Umsetzung der mit klaren finanziellen „Deckeln“ versehenen Ziele wird den jeweiligen Körperschaften überlassen.
•Der Bund, die Länder und die Gemeinden werden zu totaler finanzieller Transparenz („bedingungsloser Kassensturz“) verpflichtet, wobei alle Eventualrisken (etwa Haftungen) und alle öffentlichen Beteiligungen eingeschlossen sind.
•Ein ausländisches (unabhängiges) Wirtschaftsforschungsinstitut wird beauftragt, ein 25-Jahr-Szenario auf der Basis „Was passiert, wenn die aktuelle Politik ohne nennenswerte Strukturreformen weitergeführt wird?“ zu erarbeiten. Die internationale Ausschreibung für diesen Auftrag machen die drei österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute unter Vorsitz des Rechnungshofs.
•Auf Basis dieser Studie werden dann die Ziele (und später die konkreten Maßnahmen innerhalb dieser Ziele) definiert.

Damit könne man relativ schnell starten, meint Kremlicka: Der nächste Finanzausgleich (die Verhandlungen starten im kommenden Jahr) wird einfach ausgesetzt oder durch ein Mindestprovisorium ersetzt, bis dann der Reformrahmen bis 2025 steht.


Ganz eindeutig: So könnte es gehen. Die Schweden haben es auf eine sehr ähnliche Weise sehr erfolgreich vorexerziert. Allerdings, so realistisch muss man sein, muss da blitzartig der öffentliche Druck auf die Regierenden steigen. In Schweden war das einfach, das Land machte gerade eine Wirtschaftskrise durch. In Österreich ist den meisten die Dramatik der Entwicklung noch gar nicht bewusst.

Dass von „oben“ nichts zu erwarten ist, kann man jeden Tag beobachten. Wer etwa die Präpotenz gesehen hat, mit der die Landeshauptleutekonferenz – verfassungsrechtlich gesehen ein privater Plauderverein, realpolitisch aber die mächtigste Institution der Republik – selbst leiseste Reformwünsche (etwa des Bundespräsidenten) niedermacht, der sieht für das Land eher schwarz.

Und wer die Mutlosigkeit der Regierungsspitze sieht, für den verstärkt sich dieser Eindruck noch. Am Beispiel der notwendigen absoluten Transparenz bei den Gebietskörperschaften: Der Finanzminister hätte (im Verein mit dem Rechnungshofpräsidenten) das Recht, die alles blockierende Heiligenbluter Vereinbarung aufzukündigen und Ländern und Gemeinden einfach eine transparente, einheitliche Rechnungslegung zu verordnen. Die Kartoffel ist ihm aber, wie er erst kürzlich der „Presse“ bestätigt hat, zu heiß: Ohne Verhandlungen mit den Ländern werde er das nicht tun. Bleibt also, darauf zu hoffen, dass die Regierten – besonders die viel zu passiven Jungen, um deren Zukunft es schließlich geht – aufwachen und entsprechend Druck machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2014)


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