Religionen und politische Macht

Nur wer Ethik und Religion kritisch zu analysieren versteht, kann verantwortlich Politik gestalten.

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, erzählt die Bibel. Warum gestaltet Gott die Welt in sechs Tagen? Warum ruht er am siebten? Um der menschlichen Ruhe am siebten Tag, die soziale Egalität zwischen Herren und Sklaven wiederherstellt, ein tiefes, in der kosmischen Ordnung gründendes Fundament zu verleihen – so erklärt es das vierte der Zehn Gebote im Buch Exodus.

Die Autoren dieser Texte hatten eine religiös unerhörte, verfassungsrechtlich durchdachte und politisch subversive Vision. Obwohl ihr kleines Volk Israel zwischen den Großmächten Ägypten, Assyrien und Babylonien unter die Räder gekommen war und obwohl alle umliegenden Kulturen an die Macht unzähliger Götter glaubten, entwarfen sie die Idee eines einzigen Schöpfergottes, der dem Volk Israel seine weisen Gesetze offenbarte und so zum Gesetzgeber und König wurde.

»Das habe ich euch
nicht von Anfang an
gesagt, denn ich
war ja bei euch.«

Johannes 16,4

Während die Perser, die hellenistischen Nachfolgereiche Alexanders des Großen und schließlich die Römer imperial über Jerusalem und Judäa herrschten, entwickelte sich das Judentum aus der Überzeugung, dass es trotz seiner realpolitischen Marginalisierung eigentlich das höchst würdevolle Königtum des einen und einzigen Gottes sei. Die gewagte Idee vom „Reich Gottes“ lieferte den gedanklichen Grundstoff auch für die Entwicklung des Christentums und des Islam, die nicht nur die religiöse, sondern auch die politische Weltgeschichte mitprägen.

Ob dies konstruktiv oder destruktiv geschieht, hängt von der Klugheit ihrer Interpreten ab. Wer die ethische Dimension der biblischen Schöpfungserzählung versteht, sieht unmittelbar, wie abwegig es ist, sie im Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Erklärungsversuchen zur Entstehung des Universums zu sehen.

Welchen Einfluss haben Religionen auf ethische Werthaltungen unserer Gesellschaften? Welche ethischen Konsequenzen hat Nietzsches radikale Infragestellung des Christentums?

40 Stipendiaten aus Soziologie, Politik- und Literaturwissenschaft diskutierten diese Fragen am Forum Alpbach mit dem Religionsphilosophen Christopher Hamilton vom Londoner King's College. Die faszinierende Atmosphäre des Seminars machte deutlich, wie viel das interdisziplinäre Gespräch zum Verständnis des Verhältnisses von Religion, Ethik und Politik beizutragen hat – ein Lernprozess, der in Zeiten der Kriege im Nahen Osten oder des kaltblütigen Fundamentalismus von Boko Haram wichtiger ist denn je.

Manche Wissenschaftler denken, Religion sei aus dem öffentlichen akademischen Diskurs auszuschließen, weil sie per se ideologisch sei. So sehr es richtig ist, dass jegliche Ideologie (wovon Politik oder Wirtschaft bekanntlich nicht frei sind) im akademischen Diskurs kritisch hinterfragt werden muss, so offensichtlich wäre ein Ausschluss der Religion aus diesem Prozess gefährlich. Religionen entfalten weiterhin politische Macht. Nur wer Fragen der Ethik und der Religion kritisch zu analysieren versteht, kann heute verantwortlich Politik gestalten.

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2014)

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