Kinder-Lebensmittel: „Skandal, dass sich nichts verbessert“

(c) Bilderbox (Erwin Wodicka)
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Die meisten Nahrungsmittel für kleine Kunden enthalten zu viel Zucker, zu viel Fett, zu viel Salz. Trotz immer mehr übergewichtigen Kindern reagiert die Industrie nicht oder zu wenig, kritisieren Experten.

Sie sind bunt, sie sind lässig, sie sind Verkaufsschlager – und sie sind in den meisten Fällen deutlich weniger gesund, als die Produktangaben vermuten lassen: Kinderlebensmittel. Eine kanadische Studie kommt jetzt zu dem Schluss, dass bereits neun von zehn Produkten, die in der Vermarktung direkt auf Kinder abzielen, entweder zu viel Zucker, zu viel Salz oder zu viel Fett enthalten. 89 Prozent der untersuchten Waren wurden als bedenklich eingestuft, 62 Prozent davon warben mit ihrem angeblich guten Nährstoffgehalt.

„Die Resultate sind Grund zur Sorge“, meint die Autorin der Studie, Charlene Elliott von der Universität Calgary. Österreichische Experten finden härtere Worte. „Die wirklich skandalöse Aussage ist, dass wir das schon seit einigen Jahren wissen – und dass sich dennoch kaum etwas verbessert. Im Gegenteil, Kinderlebensmittel werden zwar nicht ,böser', sie werden aber mengenmäßig immer mehr“, sagt Petra Lehner von der Konsumentenschutzsektion der Arbeiterkammer. Bereits 2005 kam Lehner in einer AK-Studie zu einem sehr ähnlichen Ergebnis wie die kanadischen Ernährungswissenschaftler.

Den Hintergrund zur Sorge liefert der Gesundheitszustand von Europas Kindern und Jugendlichen, die der Gesellschaft zu Tausenden die Rechnung für zu viel Essen und zu wenig Bewegung präsentieren: Jedes vierte Kind zwischen drei und 17 Jahren gilt mittlerweile als zu dick, bis 2020 rechnet die Weltgesundheitsbehörde mit zehn Prozent krankhaft übergewichtigen Kindern in Europa. Diabetes, Bluthochdruck und Herzprobleme sowie psychische Probleme und Essstörungen sind die Folgen.

Mit drei schon „Werbeopfer“

Diese Situation wird nicht besser dadurch, dass bereits Kinder ab drei jene Figuren aus TV-Serien, der Werbung oder Kinderfilmen wiedererkennen, mit denen auf Kinderlebensmitteln vorzugsweise geworben wird. Dazu kommen andere kleine Verführer, wie beigepackte Spiele oder Sammelelemente. Und das Äußere macht's: „Die Verpackung interessiert kleine Kinder am meisten, der Inhalt wird am Anfang oft gar nicht konsumiert. Mit der Zeit aber gewöhnen sie sich auch daran“, sagt die Ernährungsexpertin und Autorin Ingeborg Hanreich (www.kinderkost.com).

Das Problem ist, dass Kinderlebensmittel in der Regel keine Lebensmittel für Kinder sind, sondern sich nur in der Vermarktung an kleine Kunden richten. Spitzenreiter sind Süßigkeiten – und nachdem Süßes den natürlichen Geschmacksvorlieben von Kindern entgegen kommt, stehen bald auch jene Mütter auf verlorenem Posten, die beim Baby noch penibel auf gesunde Ernährung geachtet haben.

„Eine Kinderhandvoll ist genug“

Spätestens mit dem Eintritt in den Kindergarten, wenn dann auch noch die Peer Group mit schlechtem Beispiel vorangeht, beginnt eine Abwehrschlacht gegen ungesunde Ernährung. „Kinder kommen vor allem bei Süßigkeiten auf enorme Mengen, im Durchschnitt konsumieren sie pro Tag das Doppelte von dem, was an Zucker gegessen werden sollte“, sagt Hanreich. Empfehlenswert wäre eine Kinderhandvoll Süßigkeiten pro Tag.

Gerade bei Kinderlebensmitteln aber geraten die Eltern oft aufs Glatteis: durch Angaben wie „reich an Kalzium“, „ungesüßt“ oder „mit Vitaminen angereichert“. „Wenn Eltern ein Produkt sehen, das bestimmte Nährstoffangaben macht, könnten sie annehmen, dass das Lebensmittel nährstoffreich ist“, meint Charlene Elliott. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle stimme das aber nicht.

Frühstücksflocken = Süßspeise

Für Hanreich ist das Riesen-Sortiment an Frühstücksflocken ein Paradebeispiel. „Die Anreicherung mit Vitaminen machen diese Produkte nicht besser, sondern beruhigen nur das Gewissen der Eltern. Auf der Ernährungspyramide sollten diese Lebensmittel nicht unter Getreide, sondern unter Süßigkeiten eingereiht werden.“

Was Ernährungsspezialisten und Konsumentenschützer der Industrie vorwerfen, ist, dass sie nicht ausreichend auf die immer lauteren Warnungen von Gesundheitsexperten reagiert. „Es ginge in der poppigen Verpackung ja auch gesünder“, meint Petra Lehner. Es sei zwar verständlich, dass man die Rezeptur eingeführter Kindermarken nicht über Nacht verändern könne, schrittweise Verbesserungen seien aber durchaus möglich.

Bei einem besonderen Favoriten kindlicher Gaumen, dem Fruchtzwerg, sei das ja auch gelungen: „Der hat sich in der Zusammensetzung stark verbessert“, sagt Lehner. Ganz zu schweigen von wirklich gesunden Lebensmitteln, die mittlerweile auch mit den Kniffen der Kinderprodukte vermarktet werden: vom Kinderapfel bis zum Kindersalat. Dass das deutlich zurückhaltender passiert als bei Süßigkeiten, freut die Ernährungswissenschaftler allerdings gar nicht.

AUF EINEN BLICK

Neun von zehn Kinderlebensmitteln sind deutlich weniger gesund, als ihre eigenen Nährwertangaben vermuten lassen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der kanadischen Universität Calgary (Obesity Reviews, Vol. 9, Issue 4). Gerade Kinderlebensmittel seien in der Regel zu süß, zu fett oder zu salzig. Eltern ließen sich oft von Angaben über Vitamine u. ä. täuschen.

Konsumentenschützer und Ernährungswissenschaftler in Österreich kritisieren, dass derartige Erkenntnisse schon länger bekannt sind und die Industrie nicht im erforderlichen Maß darauf reagiert. Dabei werden auch Europas Kinder immer dicker:

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2008)


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