Prophetische Künstler

Keine Angst vor der Freiheit der Kunst. Auf ihre Wirkung kommt es an.

BIMAIL VON Dominik Markl SJWenn man glaubt, dass die intellektuell erkennbare Welt nicht alles ist und dass das, was dahinter liegt, nicht ein Abgrund ist, nicht die Hölle, sondern Qualität hat, das ist eigentlich Spiritualität“, antwortete der österreichische Regisseur Götz Spielmann auf die Frage, ob in seinem neuen Film „Revanche“ etwas von seiner Spiritualität sichtbar werde. Das preisgekrönte Drama, das sich zwischen dem Wiener Rotlichtmilieu und der nur scheinbar heilen Welt des Waldviertels entwickelt, erhält seine beinahe bedrängend packende Wirkung durch jenen Blick der Kamera, welcher der Härte des Alltäglichen nicht ausweicht, sondern diese ohne jede emotionalisierende Filmmusik gleichsam lapidar präsentiert.

Die vordergründige Handlung – Alex' Bankraub im Waldviertel, der ihn und Tamara, seine ukrainische Geliebte, aus den Zwängen des Prostitutionsmilieus befreien sollte, wie Tamara dabei vom Polizisten Robert erschossen wird und sich schließlich ein Beziehungsdrama zwischen Alex und Roberts Frau Susanne entwickelt – ist nicht Zweck in sich, sondern gleichsam nur der Vorwand, um jene Lebenshaltungen und Beziehungen darzustellen, die in Szenen des Schweigens sublim angedeutet sind: Wie Susanne durch die Affäre mit Alex ihre Familie zu retten versucht und wie dieser als in der Großstadt verlumpter Enkel die Würde seines erdverbundenen Großvaters wahrt. Nicht nur die Regie zeugt von einem Blick, der offen auf die Welt zugeht. Auch die Schauspieler agieren in einer Authentizität, die nicht ohne persönliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit der dargestellten sozialen Wirklichkeit möglich wäre.

Ist „Revanche“ ein christlicher Film? Das würde Spielmann gewiss dementieren. Noch weniger jedoch ist es ein unchristlicher Film. Er greift Problematiken auf, die so alltäglich sind, dass sie lieber nicht in dieser Schärfe gesehen werden. Solche Kunst hat etwas Prophetisches. Sie ist von derselben spirituellen Dynamik bewegt wie schon die alttestamentlichen Propheten. Gerade sie sind die mächtigsten Protagonisten der Sozialkritik der Geschichte. Kein Werk der antiken Literatur legt in vergleichbar unerbittlicher Weise soziale Missstände bloß wie das Buch des Propheten Jeremia. Als längste Schrift der Bibel besteht es zum Großteil aus Kritik und macht dabei nicht vor Königen und nicht einmal vor Gott halt. Doch würde ein solch kritischer Text nicht über zweieinhalb Jahrtausende gelesen, läge nicht eine positive Kraft in ihm. Ohne das „brennende Feuer“ in seinem Herzen (Jer 20,9), ohne jene spirituelle Kraft, die das Leben bejaht und sich unbeugsam für die innere Qualität der Beziehungen einsetzt, hätte Jeremia nichts bewirken können. Mit demselben Gedanken wird Jesus von dem Blinden verteidigt, den er geheilt hat: „Wenn dieser nicht von Gott wäre, so könnte er nichts tun“ (Joh 9,33).

Wer sich von dieser spirituellen Kraft leiten lässt, muss sich nicht fürchten, der Realität entgegenzutreten, auch nicht in ihrer Härte. Wer ist für dich ein prophetischer Künstler? Wer hilft dir, deiner Realität ohne Beschönigung und dennoch furchtlos ins Auge zu blicken?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2009)

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