Drei in Not - der Vierte, der ist tot

Wien, Ende August. Kommissar Krug legte den Hörer auf die Gabel. „Die Woche fängt ja gut an", brummte er. „Jetzt wird man schon am Montag in aller Früh zum Schauplatz eines Mordes gerufen.

Die Zeiten werden immer schlimmer ... Wo ist eigentlich Lenz?"
„Inspektor Lenz hat sich krank gemeldet", antwortete Frau Inspektor Sandner. „Er liegt mit Fieber im Bett. War gestern bei Dürnstein in der Wachau wandern. Dabei ist er offenbar vom Regen überrascht worden. Bis in die Nacht hinein hat es gegossen, sagt er. Da hat er sich eine Erkältung eingefangen."
„Wahrscheinlich war er nicht entsprechend angezogen", sagte Krug, und der Anflug von einem Lächeln war auf seinen Lippen zu sehen. „Na, wenigstens war das Wetter bei uns ganz manierlich." Er überlegte kurz, dann meinte er: „Müssen eben Sie mitkommen. Dabei kann ich gleich Ihr kriminalistisches Gespür ein wenig testen."
Eva Sandner war zwar nicht hellauf begeistert, aber es war eine gute Gelegenheit, praktische Erfahrung zu sammeln und ihrem Chef zu beweisen, dass sie ihm eine wertvolle Hilfe sein konnte. Es war ihr erster Mord. Jeder muss schließlich einmal anfangen, dachte sie sich.
Die Leiche befand sich im Wohnzimmer von einem der kleinen Häuschen am südlichen Stadtrand von Wien. Sie war von der Putzfrau gefunden worden. Es handelte sich um Helmut Haller, Witwer und seit kurzem Pensionist.
„Er ist von hinten mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen worden", gab ein Mitglied der Spurensicherung Auskunft. „Wahrscheinlich war es Raubmord. Der Wandtresor steht offen und ist leer. Aber es gibt keine Spuren eines Einbruchs. Es sieht so aus, als habe das Opfer seinen späteren Mörder hereingelassen."
„Dann sollten wir uns zunächst auf die Familie und den Bekanntenkreis des Toten konzentrieren", stellte Krug trocken fest. „Wann ist er gestorben?"
„Gestern Abend zwischen 21 und 22 Uhr, vielleicht auch etwas früher", meldete sich der Polizeiarzt zu Wort.
„Gibt es irgendwelche Zeugen?"
„Nein, aber draußen steht ein Mann, der eine Aussage machen möchte", hörte man von irgendwoher.
Bei dem Mann handelte es sich um den Wirten vom Gasthaus ‚Zum Bären' zwei Straßen weiter. „Ich habe mir gedacht, dass es so kommt", erzählte er. „Am Freitagabend sind sie alle drei mit Haller in der Wirtsstube zusammengesessen: Luksch, Roither und Plank. Über Gott und die Welt haben sie diskutiert und wie immer ziemlich viel gebechert. Am Schluss, als sie alle mehr oder minder voll waren, ging es dann um die Banken und das Geld. Haller prahlte auf einmal damit, dass er den Banken sowieso nicht mehr vertraue und den Großteil seines bescheidenen Vermögens bei sich zu Hause in einem Safe aufbewahre. Den Mord hat sicher einer von den Dreien begangen. Die haben ja alle dringend Kohle gebraucht: Roither ist frisch geschieden, Plank ein unverbesserlicher Spieler und Luksch hat gerade seinen Posten verloren."
„Dann bestellen wir die drei Herren doch gleich einmal her", meinte Krug.
Der Einfachheit halber traf man sich im ‚Bären'. Krugs Laune besserte sich nach einem schwarzen Espresso sichtlich. „Sie protokollieren alles und achten darauf, ob Ihnen etwas auffällt", zwinkerte er seiner Assistentin zu. „Ich bin schon gespannt, wie Sie zurechtkommen. Eigentlich sind Sie mir ja viel lieber als der langweilige Lenz." Dann stellte er an die drei Verdächtigen dieselbe stereotype Frage: „Wo waren Sie gestern zwischen halb neun und zehn Uhr abends?"
„Ich war beim Musikfilmfest auf dem Rathausplatz", meinte Luksch nervös. Seine Finger umklammerten dabei ein Schnapsglas.
„Welcher Film wurde gespielt?", wollte Krug wissen.
„Keine Ahnung", antwortete Luksch. „Ich habe, ehrlich gestanden, nicht darauf geachtet. Der Abend war lau, das Essen gut, und ich wollte unter die Leute. In meiner jetzigen Situation brauche ich jede Menge Abwechslung." Zeugen konnte er keine anführen.
Krug nickte. „Und Sie?", wandte er sich an Roither.
„Ich hatte auch einen lauen Kulturabend. Gegeben wurde der ‚Hofrat Geiger' anlässlich der Wachau-Festspiele in Weißenkirchen", erteilte Roither knapp Auskunft. „Ich habe es mir nicht nehmen lassen hinzufahren, auch ohne meine geschiedene Frau. Es ist so schön, gleichzeitig auf die Bühne und hinauf in die Sterne zu blicken. Ich glaube, das Ticket habe ich noch, wenn auch keine Zeugen."
Schließlich war Plank dran. „Ich habe wieder einmal die Therme in Oberlaa besucht", meinte er nur. „Das ist gut für meine Gesundheit und eines meiner wenigen Vergnügen. Ich bin nämlich nicht spielsüchtig, wie viele behaupten, da wette ich jedes Geld der Welt."
„Von Ihnen hätte ich auch gerne gewusst, was Sie gestern Abend getan haben", fragte Krug am Ende noch den Wirten.
Der lächelte nur süffisant: „Wo soll ich denn gewesen sein? Hier im Gasthaus natürlich. Da gibt es eine Menge Leute, die das bezeugen können."
Krug nahm seine Assistentin kurz zur Seite. „Haben Sie alles genau mitgeschrieben?", erkundigte er sich.
„Ich glaube schon", sagte sie. Beide überflogen kurz das Protokoll.
„Und? Schon irgendeinen Verdacht?"
„Also verdächtig sind sie alle", meinte Frau Inspektor Sandner. „Ein Ticket ist noch lange kein Alibi. Außer dem Wirten kann keiner irgendwelche Zeugen nennen, aber selbst der könnte für einen Augenblick verschwunden sein, ohne dass es jemand bemerkt hat. Einer von ihnen wird bei Haller geläutet und ihn scheinheilig gebeten haben, ihm doch mal das Geld im Tresor zu zeigen. Als der Tresor offen war und Haller mit dem Rücken zu ihm stand, hat er ihn dann erschlagen. Richtig schlau erscheinen sie mir jedenfalls alle nicht, also wird der Mörder Spuren hinterlassen haben, die uns hin zu ihm führen."
„Gut beobachtet", sagte Krug anerkennend. „Ich glaube auch, dass unsere Leute brauchbare Spuren gefunden haben. Dennoch steht der Täter für mich praktisch schon fest."

Frage:
Wen hat Kommissar Krug als Hallers Mörder ausgemacht und warum?

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Der Autor

Hermann Bauer, Jahrgang 1954, ist Lehrer für Deutsch und Englisch an einer Handelsakademie in Wien. Er liebt Kriminalromane, besucht regelmäßig ‚sein’ Kaffeehaus und spielt Theater. Mit dem Kaffeehauskrimi ‚Fernwehträume’ gabt er 2008 sein Debüt als Romanautor.

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