Asyl Soll/Ist
Chronologie der Ratlosigkeit
Verfahren auf Eis legen, die Erstversorgung neu regeln – und endlich Traiskirchen entlasten. Die Regierung muss erst eine Linie finden, wie mit der Asylkrise umgegangen werden soll.

Jetzt gibt es keine Ausreden mehr: Seit 1. Oktober gilt in Österreich das neue Durchgriffsrecht. Bringt eine Gemeinde wenige bzw. gar keine Flüchtlinge unter, kann der Bund dort Asylquartiere errichten. Und zwar ohne Zustimmung von Landeshauptleuten oder Bürgermeistern. Dass sich die Regierung bei dieser Maßnahme einig ist und sie auch durchsetzt, ist beim Flüchtlingsthema allerdings eher eine Ausnahme. Viele Versprechen wurden in der Vergangenheit nicht eingehalten. Einige Maßnahmen wurden in der Praxis nicht umgesetzt. Nicht nur, weil sich die Rahmenbedingungen in und um Österreich veränderten. Sondern auch weil sich die Verantwortlichen im Land nicht einig waren. Ein Überblick. von Iris Bonavida
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SOLL 1400 Menschen waren genug: Ende Juli 2014 platzte Erwin Pröll der sprichwörtliche Kragen. Der niederösterreichische Landeshauptmann rief einen Aufnahmestopp im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen aus. Das Quartier sei eigentlich nur für 480 Menschen konzipiert. Jetzt müsse es endlich entlastet werden – vor allem durch Asylplätze in anderen Ländern.
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Und heute? Theoretisch gilt – nach einer Unterbrechung – in Traiskirchen noch immer ein Aufnahmestopp. Dafür werden viele Flüchtlinge in der angrenzenden Sicherheitsakademie untergebracht. Von einer Entspannung der Lage kann aber keine Rede sein: Mehr als 4000 Asylwerber waren dort im Sommer (teils ohne Dach über dem Kopf) untergebracht. Nun sind es 2700 Menschen.
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SOLL Diesmal war es ein anderer Landeshauptmann, der ein Machtwort sprach bzw. es versuchte: Ende September 2014 trat der damalige Chef der Landeshauptleutekonferenz, Kärntens Peter Kaiser, nach einem Treffen mit der Regierungsspitze vor die Medien. Sein Versprechen: Ende des Jahres würden die Bundesländer die Betreuungsquoten erfüllen.
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Ein Jahr später zeigt sich: Nur Wien erfüllt seine Quote. Vorarlberg liegt auf Platz zwei, Salzburg ist hingegen das Schlusslicht. Wobei in diesen Berechnungen nur fixe, winterfeste Schlafplätze gezählt werden. Knapp 3000 Menschen sind in ganz Österreich auch in Zelten oder (Turn-)Hallen untergebracht. Würde man diese zur Berechnung hinzuzählen, lägen Niederösterreich und die Steiermark im Plus.
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SOLL Die Opposition wehrte sich, aber SPÖ und ÖVP hielten dann doch zusammen: Im Mai beschloss das Parlament eine Reform des Asylrechts. Die Erstprüfung und Erstversorgung von Flüchtlingen findet demnach nicht nur in Traiskirchen (Niederösterreich) und Thalham (Oberösterreich) statt, sondern in ganz Österreich. Sieben sogenannte Verteilerzentren teilen sich die Aufgabe und sollen zu einer fairen Aufteilung beitragen.
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In der Praxis stößt auch das neue System an seine Grenzen: Sechs von sieben Zentren sind zwar nach einer Verzögerung in Betrieb – allerdings auch schon wieder voll. Bis zu 350 Plätze können jeweils maximal vergeben werden. Außerdem ist Kärnten säumig: Derzeit dienen Zelte in Krumpendorf als improvisierte Stelle.
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SOLL Im September wurde die Regelung beschlossen, gestern, Donnerstag, trat sie in Kraft: Erfüllen Bundesländer ihre Quote nicht, kann der Bund auf eigene Faust Quartiere vor Ort errichten. Und zwar ohne Sanktus der Ortschefs. Mit einigen Einschränkungen: Pro Gelände können nicht mehr als 450 Asylwerber untergebracht werden, Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern werden vorrangig in die Pflicht genommen. Als Grenzwert für die Anzahl von Flüchtlingen werden 1,5 Prozent der Bevölkerung in einer Gemeinde angelegt.
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Die Anzahl der Asylanträge steigt, die Temperaturen sinken: Winterfeste Quartiere werden also dringend gesucht. Gestern, am erstmöglichen Tag, machte das Innenministerium vom neuen Recht allerdings noch nicht Gebrauch.
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SOLL Im Juni griff Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu drastischen Maßnahmen – zumindest rhetorisch. Sie kündigte an, den „Asylexpress Österreich“ stoppen zu wollen. Und sämtliche Asylverfahren auf Eis zu legen. Die Behörden sollten sich auf Dublin-Fälle konzentrieren: also auf jene Menschen, die über ein anderes EU-Land nach Österreich kommen und dorthin zurückgeschickt werden können. Einerseits wollte die Ministerin damit EU-intern den Druck auf andere Länder erhöhen. Andererseits sollte Österreich für Flüchtlinge weniger attraktiv erscheinen.
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De facto änderte sich nach dieser Ankündigung wenig bis gar nichts. Der Aufschrei in der Europäischen Union blieb aus. In der Praxis wurden Asylverfahren auch weiterhin abgearbeitet. Und: Von Jänner bis Ende Juni schob Österreich 728 Schutzsuchende im Rahmen des Dublin-Abkommens zurück (etwa 121 monatlich), in den Monaten Juli und August waren es jeweils 132 Personen.
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