Noch einmal Japan

Warum immer mehr Japaner der ungemütliche Gedanke beschleicht, dass kulturelle Uniformität vielleicht doch keine taugliche Ideologie für die Zukunft ist.

Der letzte „Culture Clash“ hat so viele Reaktionen hervorgerufen wie schon lange nicht. Faszinierend, dass eine ziemlich theoretische Fragestellung – ist das einwanderungsfeindliche Japan zukunftsfähiger als der Zuwanderungskontinent Europa? – so aufregt. Japan gehört zu den Ländern, in denen es kaum Immigranten und 2014 nur elf Asylbewilligungen gab. Dabei schrumpft die Bevölkerung seit zehn Jahren. Das gibt es sonst nur in ex-kommunistischen Staaten, denen im 20. Jahrhundert die Lebensfreude genommen wurde, und auf kleinen Inseln.

Dass Japan mehr Zuwanderung braucht, ist aber nicht nur ein Befund von außen, sondern eine Erkenntnis, die im Land selbst immer mehr diskutiert wird. So sehr, dass sich laut einer Umfrage der Zeitung „Asahi Shimbun“ die Zahl jener, die für eine Ausweitung der Zuwanderung sind, seit 2010 auf 51 Prozent verdoppelt hat.

Das Problembewusstsein steigt, etwa durch die Ankündigung des Gesundheitsministeriums, dass schon bis 2025 rund 1,5 Millionen zusätzliches Krankenhauspersonal und Pflegekräfte für die stark wachsende Zahl alter Menschen gebraucht wird – viel mehr, als im Inland aufzutreiben sind. Auch wird vielen Japanern bewusst, dass immer weniger arbeitende Bürger eine immer steiler ansteigende Staatsschuld zurückzahlen und gleichzeitig das Leben von immer mehr Nichtarbeitenden finanzieren müssen. Das Sozialsystem Japans (und nicht nur dort) ist ein Pyramidenspiel: Sein Funktionieren hängt nicht von der Bevölkerungszahl an sich ab, sondern davon, ob ausreichend jüngere Einzahler nachkommen. Das ist in dort schon lange nicht mehr der Fall.

Wirklich populär ist Zuwanderung in Japan trotzdem noch nicht. Man fürchtet einen Verlust an Sicherheit. Aber schon heute fürchten sich die Japaner mehr als etwa die Österreicher vor einem Spaziergang nach Anbruch der Dunkelheit. (Und es fürchten sich sogar die Jungen mehr als die Alten.) Die Verunsicherung der jüngeren Japaner und eine um sich greifende depressive Unlust zur Gestaltung der eigenen Zukunft dürfte auch Premier Shinzō Abe einen Strich durch die Rechnung machen, der statt Zuwanderung auf höhere Arbeitsbeteiligung und Geburtenraten setzt. Wie will er junge Frauen dazu motivieren, gleichzeitig mehr zu arbeiten und mehr Kinder zu bekommen? Das alles heißt nicht, dass Japan seine Grenzen weit aufmachen muss. Aber man sieht, dass eine auf kulturelle Uniformität versessene Nation auch keine geregelte, sozialverträgliche Zuwanderung zulässt. Eine Alternative zu Europas Zuwanderungspolitik ist das nicht.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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