Die EZB stellt alle Theorien auf den Kopf

(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Die jüngste Zinssenkung könnte jetzt nicht nur Bankgebühren, sondern absurderweise auch Kredite verteuern.

EZB-Chef Mario Draghi hat sein letztes Arsenal gegen die drohende Deflation in Stellung gebracht – und dafür ziemlich viel Kritik geerntet. Tatsächlich wird das Maßnahmenpaket aus Zinssenkung auf null, Erhöhung der Strafzinsen für Bankeinlagen bei der EZB und Ausbau des Anleihenankaufsprogramms möglicherweise die Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten noch ein Stück aufpumpen. Die Verlierer stehen aber schon jetzt fest: erstens die Sparer und zweitens, auch wenn das auf den ersten Blick paradox klingt, die Kreditnehmer, soweit es sich dabei nicht um Staaten handelt.

Die eigentlichen Sparzinsen werden wohl nicht dramatisch sinken: Ob der Leitzinssatz der Notenbank null oder, wie vorher, 0,05 Prozent beträgt, macht keinen wirklichen Unterschied. Da ist eher Psychologie im Spiel.

Und auf der negativen Seite sind jene, die ihr Geld in Sparprodukten oder anderen Zinswerten anlegen, ohnehin schon lang. Besonders in Österreich, wo die Inflationsrate mit 1,2 Prozent ja relativ hoch ist.
Wer hier vor KESt weniger als 1,6 Prozent bekommt, macht real Verlust. Bei den meisten Sparprodukten ohne Bindung liegt der reale Kapitalverlust schon bei rund einem Prozent p. a. Die finanzielle Repression vulgo Sparerenteignung ist also ohnehin schon längst voll im Gange.

Mit den eigentlichen Zinsen werden die Banken vorerst nicht unter null gehen. Das Problem, das Draghi den Bankkunden bereitet, ist auch weniger die mikroskopisch kleine Senkung des Leitzinses, sondern die Ausweitung des „Strafzinses“ von 0,3 auf 0,4 Prozent, also genau besehen um 33 Prozent. Das müssen die ohnehin unter Ertragsdruck stehenden Banken in ihrer Kalkulation unterbringen. Und Experten meinen, dass es dafür im Wesentlichen zwei Möglichkeiten gibt: Bankgebühren und Kreditzinsen.

Bankkunden werden sich also wohl auf höhere Gebühren einstellen müssen, was genau genommen einer Verschärfung der finanziellen Repression entspricht. Und viele Analysten meinen, dass auch bei den Kreditzinsen zugelangt werden müsse. So könnte erstmals der absurde Fall eintreten, dass die EZB beim Versuch, die Kreditvergabe anzukurbeln, das genaue Gegenteil erreicht: eine Verteuerung der Kredite.

Die Nullzinspolitik stellt eben alle Theorien auf den Kopf. Und es gibt nicht mehr viele Ökonomen, die dabei noch ein besonders gutes Gefühl haben. ju

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)


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