Iran: Die „grüne Welle“ ist zurück

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Nach vier Wochen kam es in Teheran wieder zu Massendemonstrationen: Anlass war eine Predigt von Ayatollah Rafsanjani, einem Verbündeten von Oppositionsführer Moussavi.

TEHERAN/WIEN. Die „grüne Welle“, wie sich die Oppositionsbewegung von Mir Hussein Moussavi nennt, ist wieder hochgeschwappt. Nachdem in Teheran in den vergangenen vier Wochen relative Ruhe geherrscht hatte, waren gestern, Freitag, wieder zehntausende Menschen auf den Straßen der iranischen Hauptstadt Teheran. Das Lebenszeichen der Opposition kam zeitgleich mit der Freitagspredigt von Expräsident und Kleriker Ali Akbar Hashemi Rafsanjani.

Vor seiner Rede versammelten sich Hunderttausende in der Umgebung der Universität – dem Ort des traditionellen Freitagsgebets –, darunter viele Anhänger des bei der umstrittenen Präsidentenwahl vom 12. Juni unterlegenen Kandidaten Mir Hussein Moussavi. Moussavi war bei dem Gebet in der Universität Teheran persönlich anwesend, sein erster offizieller Auftritt seit der Wahl am 12. Juni.

Rafsanjani gilt als Unterstützer von Moussavi, ist zudem ein gewiefter Taktiker, der geschickt vor allem hinter den Kulissen agiert.

Harte Kritik an Ahmadinejad

Doch Rafsanjani sparte in seiner Freitagspredigt nicht an öffentlicher Kritik an der Regierung von Präsident Mahmoud Ahmadinejad: „Es ist nicht notwendig, Menschen einzusperren. Wir müssen einander tolerieren“, sagte Rafsanjani. Das Vertrauen der Iraner sei „verloren gegangen“ und müsse „wiedergewonnen“ werden.

Rafsanjani konstatierte, dass der Iran in der Krise stecke: „Wir sind alle Mitglieder einer Familie. Ich hoffe mit dieser Predigt, dass wir diese schwere Phase hinter uns bringen, die durchaus als Krise bezeichnet werden kann.“

Die Menschenmenge verfolgte die Rede vor der Universität Teheran. Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Regierungskritiker vor; 15 Demonstranten sind verhaftet worden.

Neue Proteste in Teheran

Über die Zahl der seit dem Beginn der Proteste Verhafteten herrscht Unklarheit: Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi sagte in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, es gebe mehr als 2050 Verhaftungen. Rund 100 Menschen seien umgekommen. Die Anwältin plädiert für politische Sanktionen gegen ihr Land, ein Wirtschaftsembargo lehnt sie aber ab.

Welche historische Bedeutung haben die Proteste? Der slowenische Philosoph Slavoj ?i?ek schreibt in einem viel beachteten Aufsatz für die „London Book Review“: „Wir sind Zeugen eines emanzipatorischen Ereignisses geworden, das nicht in den Rahmen des Kampfes zwischen prowestlichen Liberalen und antiwestlichen Fundamentalisten passt.“ Für ?i?ek sind die Ereignisse eine Art Déjà-vu der islamischen Revolution von 1978/79.

Nach Vortrag in Wien verhaftet

Unter den Verhafteten befindet sich auch Bijan Khajehour Khoei. Er leitet das Unternehmen Atieh Bahar Consulting, das gute Kontakte nach Österreich hat. Khoei war gleich nach seiner Rückkehr aus Wien – wo er vor der Wirtschaftskammer Wien einen Vortrag gehalten hatte – am 27. Juni verhaftet worden. Die Familie war tagelang über seinen Aufenthaltsort nicht informiert.

AUF EINEN BLICK

Protestwelle rollt weiter. Nach vier Woche relativer Ruhe gingen gestern, Freitag, in der iranischen Hauptstadt Teheran wieder zehntausende Menschen auf die Straße, Immer wieder waren „Marg bar Dictator! –
Nieder mit dem Diktator!“-Rufe zu hören.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2009)


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