Elitenproblem auch Schuld der Medien und der Staatsbürger

So schreibt man nicht!„Österreich hat ein Elitenproblem“, Leitartikel von Christian Ultsch, „Die Presse am Sonntag“, 2. August
Ihrem Leitartikel stimme ich nahezu uneingeschränkt zu. Allerdings kommt eine der Ursachen der Misere bei Ihnen zu kurz, nämlich die fatale Neigung der Journalisten, jeden Politiker niederzumobben. Blättern Sie doch heute einfach eine Seite weiter: Indirekt, aber unverkennbar bezeichnet Ihr Chef Michael Fleischhacker Graf als „Idioten“ und Ihr Kollege Erich Witzmann Molterer als „abgetakelten Politiker“. Auch wenn man deren Meinung teilt: So schreibt man nicht! Zudem bin ich nicht Ihrer Ansicht, dass Minister Fachwissen haben müssen. Abgesehen von (allerdings wichtigen) Einzelfällen, z.B. dem Finanzminister, sind etwa ein Polizist als Innenminister, ein Offizier als Verteidigungsminister oder ein Arzt als Gesundheitsminister ungeeignet, weil sie mit ihren Standesgenossen Loyalitätsprobleme haben werden. Der CEO eines großen Unternehmens muss auch kein Fachmann sein, dazu hat er seine erste Führungsebene.

Dr. Wolfgang Reisinger
1140 Wien

Problematik KlubzwangIch gebe Ihnen in den meisten Punkten recht. Was mir aber fehlt, ist der Hinweis, dass die Köpfe, die Sie in der Politik suchen, auch deshalb nicht mitgestalten wollen, weil es sich in Österreich herumgesprochen hat, dass man als „Politiker mit Ambitionen“ keine Chance hat, etwas zu bewegen.

So stellt der berühmte „Klubzwang“ wohl eines der größten Probleme dar, um in diesem Land etwas zu ändern. Man muss sich der Meinung der Partei – oder deren untergeordneten Institutionen – anpassen. So ist es z.B. unmöglich, im konservativen Regierungsbereich eine Veränderung im Beamtenapparat oder eine wirksame Verwaltungsreform durchzusetzen, ohne mit Herrn Neugebauer und Konsorten anzuecken. Im sozialistischen Lager findet man die gleiche Problematik, siehe ÖBB oder Post und die Kollegen vom ÖGB.

Dass Sie Herrn Kreisky als Krone der politischen Schöpfung sehen, kann ich persönlich zwar nicht nachvollziehen, aber wahrscheinlich liegt mir der berühmte Satz „Mir sind ein paar Milliarden Staatsschulden mehr lieber als ein paar Arbeitslose mehr“ zu tief im Magen, da diese Einstellung wohl einen der Hauptgründe für die heutige prekäre finanzielle Lage Österreichs darstellt.

Walter Prause
9020 Klagenfurt

Persönliche Haftung für FehlerGanz anders würde die Situation aussehen, wenn es endlich Qualifikationserfordernisse geben würde und ein Politiker – wie jeder in der freien Wirtschaft Tätige! – für Fehler, die er produziert, persönlich haften müsste. Aber so verstecken sich Politiker hinter dem Amtshaftungsgesetz und übernehmen bei Scheitern bestenfalls die lächerliche „politische Verantwortung“, treten zurück und bekommen sofort von der Partei einen Versorgungsposten in irgendwelchen Einflussbereichen der Partei (schon einmal etwas gehört vom „Europa-Institut in Irgendwo“, vom „Forum A...“, von Botschafterposten, Generaldirektor in einem EVU etc.?) Dort treiben sie ihr Unwesen zu unseren Lasten munter weiter!

Dr. Heinz Gerger
2534 Alland

Politik muss erlernt werdenGrundsätzlich haben Sie in Ihrem Leitartikel recht, jedoch sollte man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ihr Appell könnte lauten: Politik soll, ja muss genauso erlernt werden wie jeder andere Beruf. Schön sein, jung sein und noch weiblich dazu ist zu wenig. Klar, Medien haben hier eine besondere Verantwortung. Ich glaube, nach 40 Jahren im politischen Job weiß ich, wovon ich rede.

Bürgermeister Helmut Wiesenegg
Reutte

Und der moralische Aspekt?Ihrem ausgezeichneten Artikel ist vollinhaltlich zuzustimmen, mir fehlt jedoch eine zusätzliche Komponente, und zwar die moralisch/ethische – auch im Hinblick auf die persönliche Verantwortung. Beinahe kein Politiker der ersten und/oder zweiten Ebene hat das Gefühl oder die Überzeugung, für sein/ihr Tun auch verantwortlich zu sein. Der damalige Vizekanzler und Finanzminister Molterer hatte im Mai 2008, anlässlich der AUA-Geburtstagsfeier, klar die Stand-alone-Linie des Herrn Ötsch unterstützt, obwohl die „Wissenden“ bereits Jahre davor dringend einen strategischen Partner für dieses Unternehmen forderten und als unumgänglich ansahen. Herr Ötsch ist wohlbestallte Geschichte, Herrn Molterer loben wir nach Brüssel. Selbstverständlich sind die genannten Namen x-fach austauschbar in Österreich.

Moral, Ethik, Anstand und Verantwortlichkeit sind Kategorien, welche in Österreich dem Durchschnittsbürger und Steuerzahler als Standard gelten müssen, die Klasse der Politiker sollte diese zumindest fehlerfrei schreiben können.

Martin Rath
2500 Baden

Es fehlt die Komponente VolkGestatten Sie mir, den alten Kalauer zu bemühen: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.“ Was in Ihrem grundsätzlich scharfsinnigen Leitartikel nämlich fehlt, ist die Komponente Volk bzw. Staatsbürger.

Ich will damit ausdrücken, dass ein Politiker mit Visionen (hat nicht einmal Vranitzky gemeint, wer Visionen hätte, bräuchte einen Arzt?) hier in Österreich gar keine Chance auf (Wieder-)Wahl hätte, zumal Visionen in wirtschaftlich harten Zeiten auch mal vordergründig unpopuläre Elemente beinhalten werden. Wir, das Volk, hören doch viel lieber, dass „eh alles super“ ist, dass Österreich „besser dastünde als alle anderen“, lassen uns mit Wonne weitere Wohltaten aus dem Staatssäckel versprechen und laufen mit Begeisterung dem nach, der uns am wenigsten abverlangt. Dass unter diesen Auspizien fast zwangsläufig nur die dreistesten Opportunisten politisch reüssieren können, liegt doch auf der Hand. In anderen Worten: Wer uns am meisten verspricht und am wenigsten von uns fordert (und noch halbwegs fotogen ist), wird gewählt. Das tut sich doch kein Mensch mit mehr als durchschnittlichem Verstand an! Und somit wird der Effekt der von Ihnen zu Recht beklagten Negativauslese noch potenziert.

Dipl.-Bw. Leopold K. Haslinger
1210 Wien

Die Medien im GlashausHerr Ultsch erhebt den Vorwurf, dass Österreich ein Elitenproblem hat. Ich meine, er hat recht, wenn er behauptet, dass die Medien im Glashaus sitzen und die „Lizitation“ nach unten treiben. Solche engstirnigen Leitartikel hat es in der „Presse“ noch nie gegeben. Der Niveauverlust in der österreichischen Politik ist offensichtlich, aber der Niveauverlust in den Medien gefährdet die Zukunft des Landes. Die Medien werden Handlanger, Akteure, Aufrufer, Hetzer, selbst ernannte Institutionen etc. Vor allem spielen sie sich als Richter und ultima ratio auf. Das macht mir Angst – vor allem mangels Elite! Das Volk, der Leser, ich und du, sind beeinflussbar, keine Frage. Wohin will man uns führen?

MR Dr. Volker Stoxreiter
9500 Villach

Nicht begrenzt auf PolitikerIn der Sache gebe ich Ihnen recht, in der Begrenzung auf Politiker nicht. In allen Bereichen der Gesellschaft – Universität, Medien, Kunst... – findet sich die von Ihnen angesprochene Problematik. Es ist aber eine der Gesellschaft und nicht allein ein Teil von ihr, wenn auch ein wichtiger.

Wolfgang Dähnhard
1020 Wien

Ständiger VerfallIch bin als junger Mensch seit Franz Vranitzky in der Lage, die Bundeskanzler als politisch denkender Mensch mitzuverfolgen, und die Wahrnehmung ist wirklich ein ständiger Verfall, der jetzt mit Werner Faymann einen für mich persönlich gruseligen Höhepunkt findet. Nicht umsonst haben die genialen Komiker Maschek derzeit viel zu tun, denn besonders rhetorisch ist unser aktueller BK eine Katastrophe.

Lukas Steinberger
Graz

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2009)

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