Vorstandssitzung

Zur Feier des Tages stoßen die Vorstandskollegen mit 15 Jahre altem Whisky an. Kurz darauf fallen beide um.

Lösen Sie den Fall
Wer war der Mörder?

Bergmann blickte sich zufrieden um. Zum ersten Mal seit Monaten hatte er das Gefühl, dass er sein Leben wieder unter Kontrolle hatte. Sternrad konnte kommen. Er war vorbereitet. Sternrad! Allein der Name ließ Bergmann schon wütend werden. Seit einem Jahr war dieser Erbsenzähler nun schon im Vorstand. Sternrad saß ihm im Genick, schnürte ihm die Luft ab. Warum Sternrad ihm zur Seite gestellt worden war, darüber gab es nur Gerüchte. Der Alleinaktionär hatte angeblich bei einem riskanten Deal Geld verloren und Sternrad habe ihm versprochen, er könnte das Geld wiedergewinnen. Innerhalb kürzester Zeit waren Kostenkontrollen, Reportings und Reviews immer mehr geworden, hatten sich wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet und die Forschung fast zum Erliegen gebracht.

Am Anfang hatte er sich gefragt, woher Sternrad die Selbstsicherheit nahm, mit der er die Einführung dieser unsinnigen Maßnahmen verlangte. Doch dann fand er es heraus: Sternrad war ein Protegé des Alleinaktionärs. Berichtete jede Woche direkt an ihn. Dieser Scheißkerl wollte Karriere machen, indem er das Unternehmen auspresste wie eine Zitrone! So konnte man aber kein Unternehmen führen. Er, Bergmann, war es gewesen, der das ehemalige Vorstadtlabor zum Chemiekonzern aufgebaut hatte. Das würde er sich nicht kaputt machen lassen.

Lange genug hatte er gute Miene zum bösen Spiel gemacht, war kooperativ gewesen, hatte sogar Vorschläge im Sinne Sternrads unterbreitet. Der bildete sich vermutlich sogar ein, dass Bergmann ihn schätzte, ja ihm vielleicht sogar freundschaftlich zugeneigt war. Umso besser, denn damit war es nun vorbei. Es klopfte an der Tür. „Herein“, rief Bergmann. Die Tür öffnete sich und Sternrad trat ein. Pünktlich auf die Minute. Wie immer. „Sternrad!“ Bergmann setzte ein gewinnendes Lächeln auf, eilte auf den Besucher zu. „Es freut mich, dass Sie so kurzfristig Zeit gefunden haben. Wir haben etwas zu feiern!“ – „Zu feiern?“ Sternrad sah ihn mit ratlosem Gesichtsausdruck an.

„Ja, genau. Raten Sie mal, wie lange wir schon gemeinsam im Vorstand sind!“ Bergmann wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern setzte nach: „Ein Jahr!“ – „Ein Jahr und siebzehn Tage.“ – „Nun gut“, setzte Bergmann fort, „jedenfalls dachte ich, darauf sollten wir gemeinsam anstoßen!“

„Ich halte nichts von Alkohol bei der Arbeit.“ – „Na kommen Sie, es ist fast 18 Uhr. Verderben Sie mir nicht die Freude, machen Sie einmal eine Ausnahme und nehmen Sie Platz.“

Bergmann deutete mit jovialer Geste auf die schwarze Ledersitzgruppe, hinter der ein farbenprächtiges, abstraktes Gemälde an der Wand hing. „Ich habe für uns einen besonderen Scotch ausgewählt.“ Bergmann ging zur Bar und holte eine Flasche hervor. „15 Jahre alt. In Eichenfässern gelagert.“ Sternrad quittierte dies mit einem angewiderten Nicken. „On the rocks?“ – „Ist mir egal“, antwortete Sternrad. Bergmann nickte und langte mit der Zange in die Eisbox. Er ließ einige Eiswürfel in zwei Kristallgläser fallen. Das Eis knackte leise, als er den Whisky darübergoss. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Mit einem Glas in jeder Hand steuerte er auf Sternrad zu.

„Hier bitte.“ „Zum Wohl!“ Bergmann hob das Glas zum Toast. Sternrad tat es ihm gleich. „Auf uns“, setzte Bergmann fort. Beide nahmen einen kleinen Schluck. Gut so.

„Ich wollte schon immer . . .“, er unterbrach sich. „Ach, bevor ich es vergesse. Einen Moment.“ Er stand auf, ging zum Schreibtisch und drückte auf einen Knopf am Telefon. „Frau Stransky, kommen Sie bitte.“ Er sah Sternrad an: „Dauert nicht lang.“ Dann nahm er einen großen Schluck.

Alles oder nichts. Als sich die Tür öffnete und Frau Stransky im Türrahmen erschien, leerte er den Rest des Glases auf einen Zug. Er setzte das Glas wieder ab. „Frau Stransky. Der Vertrag, den ich Ihnen vorher geschickt habe, muss heute noch raus. Bitte sorgen Sie persönlich dafür.“

„Jawohl.“ – „Und nur der Ordnung halber: Wir wollen ungestört bleiben.“ Frau Stransky nickte und zog die Tür wieder vor sich zu. Bergman registrierte, dass Sternrad sein Glas noch immer in seiner Hand hielt. Perfekt. Er setzte sich wieder zu ihm.

„Sternrad, seit wir seit einem Jahr ein Team sind, haben wir wohl einiges weitergebracht, nicht wahr? Ich bin wirklich froh, dass unsere Zusammenarbeit so gut klappt. Und bei dieser Gelegenheit, ich bin ja der Ältere von uns beiden, würde ich Ihnen gern das Du-Wort anbieten.“ Er streckte seine Hand über den Tisch. „Ich bin Lukas.“

Sternrads Augen leuchteten auf.

„Freut mich sehr. Simon.“ Sternrad setzte sein Glas ab und sie schüttelten einander die Hände. „Aber Sie, ich meine du, du trinkst ja nichts. Schmeckt dir der Whisky etwa nicht?“ – „Doch, doch, ausgezeichnet!“

Wie um seine Worte zu unterstreichen, griff Sternrad zum Glas, nahm einen Schluck, setzte ab, nahm noch einen und dann noch einen. Dann stellte er das Glas mit einer unsicher wirkenden Bewegung auf den Tisch zurück und lockerte die Krawatte. „Heiß hier.“ Sein Gesicht hatte auf einmal etwas Wächsernes an sich. Er schnappte nach Luft, drehte die Augen nach oben und sank nach hinten.

Jetzt! Bergmann fuhr sich mit dem Finger in den Rachen und übergab sich auf den Boden. Er schüttete den Inhalt seines Glases darüber und ließ das Glas zu Boden gleiten. Mit letzter Kraft drückte er auf den Knopf für Frau Stransky. Dann brach er zusammen.

***

Kommissar Gross stützte sich auf das Gitter am Fußende des Spitalbettes und sah Bergmann ernst an. „Man hat Sie vergiften wollen. Sie haben verdammtes Glück gehabt, ganz im Gegensatz zu Sternrad. Ihre Sekretärin hat ja beobachtet, dass Sie das ganze Glas ausgetrunken haben.“

„Vergiften?“, stammelte Bergmann. „Ja. Das Gift war in den Eiswürfeln. Ob wir den Täter fassen werden, ist fraglich. Zu viele haben Zugang zu Ihrem Zimmer. Haben Sie Feinde im Unternehmen?“ Bergmann biss sich auf die Lippen, um sein Lächeln zu verbergen. Nein, jetzt hatte er keine Feinde mehr.


Welchen Trick wandte Bergmann an?

Die Autoren

Robert Baumgartner ist Professor für Informatik an einer Höheren Technischen Lehranstalt in Wien, Arno Brauneis ist Rechtsanwalt in Wien. Robert Baumgartner und Arno Brauneis sind die Autoren des 2015 erschienenen Thrillers „Schuldvermutung“.

Privat

www.krimiautoren.at


Lösung der vergangenen Woche:

Vier Personen hatten aufgrund ihres Gangs in den dritten Stock eine unverdächtige Gelegenheit. Doch das Geschwisterpaar aus Uruguay wusste nichts davon, dass die Karte eingerahmt unter dem Kreuz hängt, und für eine intensive Suche war es zu kurz weg. Die Kraus hingegen hatte Gelegenheit (Bier holen) und Motiv (Liebesdienst für Huber).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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