Annemarie Kury: Die Frau, die nicht mehr zusehen wollte

Annemarie Kury
Annemarie Kury(c) Annemarie Kury
  • Drucken

Seit 18 Jahren hilft Annemarie Kury Menschen im kriegsgeplagten Exjugoslawien. Auf 260 Fahrten hat sie Lebensmittel, Medikamente und Hoffnung nach Bosnien gebracht – ohne jeden Verwaltungsaufwand.

Annemarie Kury saß im Wohnzimmer ihrer Wohnung in Wien-Gersthof und ärgerte sich. Es war November 1991, im Fernsehen diskutierten einige Männer über den Krieg in Jugoslawien und das Elend der Menschen zwischen den Fronten. „Und irgendwie“, sagt die heute 77-Jährige, „hat jeder die Verantwortung, den Menschen zu helfen, auf den anderen geschoben.“

Das hat Annemarie Kury verärgert. Aber dann sei ihr der Gedanke eingeschossen: „Was tu ich eigentlich?“ Nicht viel, musste sie sich damals ehrlich antworten. Kury schaltete den Fernseher aus, griff zum Telefon und erkundigte sich bei der Leiterin der Caritas in Zagreb, was die Menschen dort am nötigsten brauchen würden. „Essen, Essen, Essen“, lautete die Antwort.

Verkleidet durch Straßensperren

Und Annemarie Kury kam. Auf eigene Kosten packte die ehemalige Krankenschwester, die damals ein eigenes physikalisches Therapieinstitut betrieb, ihren VW Jetta bis obenhin mit Trockenmilch, Keksen und anderen haltbaren Lebensmitteln voll und fuhr direkt nach Zagreb. In Krankenschwesternuniform und mit einem von ihr selbst ausgestellten „Passierschein“ kam sie an Straßensperren und anderen Hindernissen vorbei und schließlich in Zagreb an, konnte die Lebensmittel an Flüchtlinge und Opfer verteilen.

Es sollte nicht bei dieser einen Hilfsreise bleiben. Bis heute ist Annemarie Kury 260-mal in die ehemaligen Kriegsgebiete gereist, um dort zu helfen, wo es am notwendigsten ist. Am Nationalfeiertag könnte ihr die Austria'09 der „Presse“ überreicht werden – sie ist Kandidatin in der Kategorie „Humanitäres Engagement“. Auch 14Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton gebe es noch viele Fälle, in denen Hilfe nötig sei, erzählt Kury. Familien, deren Väter im Krieg gefallen seien, Menschen, die ihr Haus im Bombenhagel verloren haben, und andere, die keine Arbeit, keine Lebensgrundlage mehr haben. Heute konzentriert sich Kury auf Bosnien, wo 30 Prozent arbeitslos sind.

Über das Bundesheer, das in Exjugoslawien stationiert ist, erfährt die 77-Jährige von Härtefällen. „Ich versuche, immer so zu helfen, wie es am besten für die Situation ist“, sagt Kury. In Gesprächen versucht sie herauszufinden, wie sich im konkreten Fall am besten helfen lässt. Etwa, indem sie das Haus einer Familie restauriert, damit sich diese aus den Mieteinnahmen wieder selbst erhalten kann. Indem sie hilft, kleine Gärten und Felder anzulegen, von denen sich die Menschen selbst ernähren können. Oder, indem sie Patenschaften vermittelt.

Wobei Kury keine Werbung macht, Spenden aufzutreiben. „Bei mir gibt es keine Folder, nicht einmal Erlagscheine“ – eine Hilfsorganisation aufzubauen wäre ihr zuwider, sagt sie: Dabei ginge ein zu großer Teil der Spenden für Verwaltung auf und gelange nicht direkt an Hilfsbedürftige. Darum kümmert sich Annemarie Kury weiterhin allein um ihre Projekte, ihre Reisen. „Jeder, der mir Geld für Menschen in Bosnien gibt, hat mein Wort, dass es ankommt.“

Vertreibung selbst erfahren

Wichtig ist Kury vor allem, dass die Hilfe bei den Menschen ankommt. Die Schicksale der Menschen in der Kriegsregion treffen die Frau tief – was auch in ihrer Lebensgeschichte begründet ist: 1946 wurde Kurys Familie, damals ansässig in Böhmen, aus ihrer Heimat vertrieben.

Nachdem sie sich in der Steiermark niedergelassen hatte, musste Kury die Erfahrung machen, wie es war, auf andere Menschen angewiesen zu sein. „Damals hat mir die Hilfsbereitschaft anderer geholfen, meinen Zorn auf die zu überwinden, die uns vertrieben haben“, sagt Kury – und hofft, dass sie mit ihrer Hilfe die Wunden des Kriegs heilen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2009)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.