Dubai: Ist das Übermorgenland von gestern?

(c) Reuters (Ahmed Jadallah)
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Stadt der Superlative und Mekka des Marktes. Nirgendwo gibt es größere Einkaufszentren, nirgendwo schießen die Hochhäuser ungestümer gen Himmel, und nirgendwo ließ sich so schnell Geld verdienen. Doch dann kam die Krise.

Willkommen im Übermorgenland! Nur scheint das Übermorgenland heute von gestern zu sein. Dubai? Das ist so 2008. Der Dubai-Dream ist zerplatzt, er war wohl auf Sand gebaut.

Die Schlagzeilen, die über Storys über die modernste Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate prangten, priesen Anfang 2008 etwa die „Tausendundeine Pracht“ der Stadt am Persischen Golf. Doch zuletzt las man eher hämische Titel: „Goodbye, Dubai“. Nun ist von einem Wald nutzlos gewordener Kräne zu lesen, die stillstehen, weil die meisten Bauprojekte gestoppt wurden. Von leeren Einkaufszentren, von Arbeitslosen, die ihre Traumjobs und Spekulationswohnungen verloren haben und in Autos übernachten – und von Heerscharen an Gastarbeitern, die das Land verlassen.

Stadt mit 90 Prozent Fremden. Denn nur zehn Prozent der Bewohner der 1,6-Millionen-Stadt sind Einheimische. 1995 bis 2000 wuchs die Bevölkerung um 25 Prozent, nun wird sie laut Studie der Investmentbank EFG-Hermes binnen eines Jahres um 17 Prozent schrumpfen. Auf den Autobahnen ist das schon spürbar, auch ein Gerücht illustriert das: Mehr als 3000 Autos sollen auf dem Flughafenparkplatz stehen, Zündschlüssel im Schloss, längst gesperrte Kreditkarten im Handschuhfach, Entschuldigungsbrief des Exbesitzers auf dem Beifahrersitz.

Der ominöse Parkplatz auf dem Dubai International Airport ist nicht weit vom Zentrum entfernt, so es eines gibt im zersiedelten Dubai. Paul Griffiths, Chef der Flughafenbetreiberfirma, negiert das Gerücht: „Wenn das stimmte, wäre ich der Erste, der davon erfahren würde. Schließlich bin ich der Chef hier. Aber ich versichere Ihnen, dass dies nicht der Fall ist“, sagt der Brite.

Der Parkplatz der einsamen Autos.Doch wie viele Autos stehen wirklich herrenlos auf dem Parkplatz? „Ja, es gibt welche, die zurückgelassen wurden. Aber das gibt es weltweit.“ Journalisten würden es lieben, Türme aus Superlativ-Storys zu errichten, nur um sie dann später, beim ersten Schimmer eines Zweifels, einzureißen, sagt er.

Auf dem Flughafengelände arbeiten, anders als am Küstenstreifen Jumeirah, Bauarbeiter in Sonderschichten, als ginge es darum, den Unkenrufen der Dubai-Kritiker Fakten aus Stahlbeton gegenüberzustellen. Bis Ende des Jahres soll die Schnellbahn fertig sein, die auf Stelzen die Stadt durchzieht.

„An der Erfolgsbasis hat sich für Dubai nichts geändert“, sagt Griffiths (51), früher Chef des Londoner Flughafens Gatwick und Spitzenmanager bei der Fluglinie Virgin Atlantic. Zuletzt konnte er seinen Eigentümern im Juni 2009 ein Plus von 10,3 Prozent bei den Passagierzahlen im Vergleich zu 2008 melden, also 3.361.413 Gäste. Dubais rasante Entwicklung sei eben Folge der „fantastischen geografischen Lage“, daran habe sich nichts geändert, „schließlich haben sich die Erdplatten wegen der Krise nicht verschoben“. In einem Radius von vier Flugstunden um Dubai lebten drei Mrd. Menschen: „Wir sind Drehscheibe einer gigantischen Wachstumszone von Nahost bis Asien.“

Noch ein Riesenflughafen. Darum werde die Flughafenkapazität von 60 Millionen Passagieren (heuer: 38 Mio.) auf bis zu 80 Millionen erweitert. Und man halte am Bau des Sheikh-Maktoum-Airport fest, durch den 160 Millionen pro Jahr geschleust werden könnten, mehr als in Frankfurt und London-Heathrow zusammen, achtmal so viele wie in Wien.„Zeigen Sie mir einen Flughafenchef, der sagt: ,Ich wollte, wir hätten nicht so viele Überkapazitäten gebaut.‘“

Aber passt Dubai als Reiseziel noch zum Zeitgeist? Wie ist das mit der verrückten Jagd nach Rekorden, dem geradezu verordneten Konsumrausch, dem oberflächlichen „Bling-Bling“? „Vielleicht ist es nur mehr Bling, nicht mehr Bling-Bling. Aber der Wow!-Faktor bleibt erhalten. Ich glaube nicht, dass Dubai wie eine Mode ist, die heute in und morgen out ist“, sagt Griffiths.
Meister des „Bling-Bling“. Der „Nakheel“-Konzern ist ein Baumeister des Bling-Bling-Dubai. Ganze Städte sollen vor der Küste entstehen, im wahrsten Sinn des Wortes auf Sand gebaut: „The World“ etwa ist eine Anhäufung von 300 Sandhaufen im Meer, die Umrisse zeigen die Kontinente der Welt.

Der österreichische Immobilienentwickler Josef Kleindienst hat ein paar Inseln erworben, darunter „Österreich“. Seine Pressesprecherin schleppt Projektmappen zum Treffen im Schatten des „Burj Dubai“ an, gemeinsam mit dem deutschen Fraunhofer-Institut will man beim Projekt „The World“ zeigen, wie man in der Wüste ökologisch baut. Doch die Arbeit ruht, die meisten Projekte müssen einige Zeit auf ihre Realisierung warten.

Per Speedboot geht's zum Projekt „Palm Jumeirah“: einer palmenförmigen Stadt, die fünf Kilometer ins Meer ragt, 560 Hektar groß. Auf den 17 Palmwedeln stehen Villen mit Türmchen, Säulen, dazwischen Hochhäuser, ab und zu Mobilfunkmasten getarnt als Palmen. Im Gebäude „C“ am Ufer kann man „Palm Jumeirah“, die Retortenstadt, als 3-D-Modell bewundern und ein Heim kaufen. Eine durchschnittliche Luxuswohnung (235 m2) kostet 705.372 Euro – trotz Krise kaum ein Schnäppchen.

Die Insel gibt's jetzt billiger. 2500 Familien wohnen permanent auf der Insel; für den, der 2002 kaufte, war es trotz des Preisverfalls der letzten Monate noch immer ein gutes Geschäft, sagt die Nakheel-PR-Lady. „Auch wenn sich die Preise zuletzt stabilisiert haben“, wie sie schonend formuliert. „Kollabiert“ passte freilich besser: Der Immobilienmarkt hat um bis zu 40 Prozent nachgegeben.

Noch 2008 konnte man in Dubai Geld scheffeln, indem man Objekte kaufte, die es erst auf dem Papier gab, und sie mit atemberaubendem Gewinn weiterverkaufte. Doch seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise am 15. September des Vorjahrs, als die US-Investmentbank Lehman Brothers pleiteging, haben tausende Immobilienspekulanten ihr Vermögen verloren. Vier Millionen Quadratmeter Bürofläche waren Juni 2008 in Bau, mehr als in der Boomstadt Shanghai. Wer soll die Büros nun beziehen?

Das Schnellboot ist am Kopfende der Palmwedelsiedlung angelangt: Hier steht das 1,5-Millionen-Dollar-Projekt „The Atlantis“. Ein Hotel mit Aquarien von Ausmaßen, die es im Wiener „Haus des Meeres“ nicht gibt. In einigen Zimmern hat man eine wunderbare Aussicht auf die Meereswelt.

Mit Schampus durchs Jammertal.Feinster Marmor, teure Möbel, Boutiquen. Mit Party trotzt man abends der Krise, der Eintritt in die Hotel-Edeldisco „Sanctuary“ kostet 200 Dirham (50 Euro); wer hier feiert, lässt sich nicht lumpen. Star-DJs aus Großbritannien an den Plattentellern. Jung, Reich & Schön trinkt weiter Edelwodka und Champagner von Moët. Krise? Welche Krise?
Doch in der Bibel der Party-Crowd, im anglophonen „Time out Dubai“, gibt die Redaktion neuerdings nachdenklichen Stimmen Raum. Nargis Fatima Hasan schreibt, die Krise sei eine „willkommene Atempause und ein guter Zeitpunkt für Reflexion“. Sie sei in einem Dubai aufgewachsen, in dem es all die Megaprojekte noch nicht gab. „Mit Wehmut erinnere ich mich an die einfachere Dubai-Version zurück. Der Fortschritt in der Stadt ist unglaublich und ringt einem Staunen ab. Aber es ist alles zu viel geworden“, schreibt Nargis.

Allerdings nicht für Greg Sang, Projektmanager beim Konzern Emaar für den gigantomanischen, über 800 Meter hohen Turm „Burj Dubai“. Bis Ende des Jahres sollen die 1200 Einheiten im Turm belegt sein – er ist für 35.000 Menschen ausgelegt. Freilich werden ihn nur 7000 bis 10.000 bevölkern.

Sang ist nicht von Krisenstimmung angekränkelt: „Ein solches Gebäude wurde in der Geschichte der Menschheit noch nie errichtet.“ Man habe alle Büros schon 2004 verkauft, „von der Krise sind wir in der Hinsicht nicht betroffen“, sagt er zur „Presse am Sonntag“.

Wieso eigentlich Hochhäuser? Doch der Turm konnte nur finanziert werden, weil jahrelang Tsunamis an billigem Geld über Dubai geschwappt sind: Ökonomisch ergibt die hohe Bebauungsdichte keinen Sinn, denn die Stadt leidet nicht – wie Hongkong, Tokio, Manhattan – an Platzmangel. Wer jemals über Dubai geflogen ist, hat genug Freiflächen gesehen.

Nasser Saidi ist Chefökonom des „Dubai International Financial Center“ und als solcher einer der wichtigsten Krisenmanager. Der frühere libanesische Wirtschaftsminister hat sein Büro im 14. Stock des Bürogebäudes „The Gate“, das sehr an die Grande Arche im Pariser Vorort La Défense erinnert.

Saidi erzählt, wie mit Ausbruch der Krise Geld aus Dubai abfloss, Banken Kreditlinien für Handelskredite kappten. Für ein Handelszentrum wie Dubai ist Letzteres, als würge man einen Motor ab. Die Regierung pumpte sofort umgerechnet 24 Mrd. Euro ins Bankwesen, das Defizit der Emirate jagte auf 2,5 Prozent des BIP hoch (wenig für europäische Verhältnisse), die Schuldenlast beträgt 56 Mrd. Euro (Österreich 2009: 193 Mrd.). Und Dubai kann zur Not auf Abu Dhabi, das 94 Prozent der Ölreserven des Landes hat, zählen.

Die alte Geldhierarchie ist erschüttert.Saidi ist Optimist: „Die Emirate werden die Krise rasch überwinden.“ Als Finanzdienstleistungsstandort werde man gar profitieren, denn die Krise habe die alte Hierarchie der Finanzwelt erschüttert: „Wenn das vorbei ist, werden nicht mehr nur New York und London den Ton angeben. Bisher ist das globale Finanzsystem nach dem ,Nabe-Speiche-Modell‘ gelaufen: hier die Zentren New York und London, da die Peripherie. Jetzt entsteht ein Netz verschiedener Finanzdienstleistungsmetropolen. Dubai wird ein wichtiger Knotenpunkt sein.“

Eine geplante Währungsunion der Länder des Golfkooperationsrates werde die Vorherrschaft des Dollar weiter schwächen und die wirtschaftliche Position der Golfstaaten stärken.

Maurice Flanagan ist eine Legende: Der 81-Jährige war von Anfang an Chef der „Emirates Airlines“. Die ist ein Shootingstar der Branche, ist zehn Jahre lang jährlich um 35 Prozent gewachsen. In den nächsten Jahren will man pro Monat eine Boeing-777 und einen A-380-Super-Jumbo in Dienst stellen, gesamt sollen es 75 A-380 werden. „Es ist nicht unser Ziel, die größte Airline zu werden“, sagt Flanagan und lächelt schelmisch, „aber es könnte passieren.“

Megalomanische Pläne.Dabei spricht Flanagan so leise, dass seine Stimme vom sanften Surren der Klimaanlage fast übertönt wird. Der Eindruck täuscht: Dubai ist keine Stadt der Leisen, Verschüchterten. Der Brite mag zwar leise sprechen, doch das auftrumpfende Dubai hat es ihm angetan. Auf dem Konferenztisch seines Arbeitszimmers im Emirates-Bürogebäude auf dem Flughafen liegt eine riesige Karte, auf der Dubais megalomanische Zukunftsvisionen eingezeichnet sind: der neue Flughafen, Palm Deira, Palm Jebel Ali, Dubai Promenade, The World, The Universe et cetera.

„Es wird immer weitergehen“, schwärmt Flanagan, „Scheich Mohammed Bin Rashid Al Maktoum (Premier der VAE, Anm.) betont stets: Das Geschäft Dubais ist nicht das Geschäft der Superlative. Diese Dinge waren Begleiterscheinungen von Dubais rasantem Aufstieg. Keine Ziele, nur Begleiterscheinungen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2009)

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