Die steirische Leiche

Als Franz Enter an diesem Augustsamstag das Festzelt auf der idyllischen Waldlichtung betrat, fühlte er sich rundum zufrieden, wenn nicht sogar glücklich.

Der erste Tag, den der Kriminalinspektor aus Wien, wie die meisten seiner Urlaubstage, am Haslingerhof verbrachte, hatte bisher alle Erwartungen erfüllt. Nach einem herzhaften Frühstück war er bei Sonnenschein und angenehmen 16 Grad mit der Gondelbahn auf den Kreischberg gefahren, um von der Bergstation gemächlich hinunter zur Mittelstation zu wandern, wo ihn die flaumigsten Bauernkrapfen weit und breit, inklusive atemberaubendem Panoramablick erwarteten. Auf dem nicht allzu steilen Forstweg, der sich in Serpentinen bis zur Hütte hinabwand, konnte Enter den unzähligen Eierschwammerln nicht widerstehen, die ihn vom feuchten, moosigen Waldboden entgegen leuchteten. Zwar gab es in dem bescheidenen Gästezimmer, das er am Vorabend zum geschätzten fünfzehnten Mal bezogen hatte, keine Kochgelegenheit, doch Mirli, die Bäuerin und Wirtin des Haslingerhofs, würde die gut zwei Kilo, die ihr Stammgast gebrockt hatte, sicher zu einem köstlichen Eierschwammerlgulasch verarbeiten, an dem auch er sich delektieren konnte. Zudem ersparte er sich so das mühsame Putzen der gelben Pracht.
Zwei Bauernkrapfen später setzte Enter seinen noch anderthalbstündigen Weg ins Tal fort. Im Gasthof „Zur Sonne" genehmigte er sich eine Frittatensuppe und ein gekochtes Rindfleisch mit Wurzelgemüse, bevor er nach Hause aufbrach, um Mirli die herrlich duftenden Pilze zu überreichen.
Sein ausgiebiges Nachmittagsschläfchen wurde erst durch die leisen Volksmusikklänge beendet, die von draußen an sein Ohr drangen. Zum Waldfest, das alljährlich auf der Tratten in unmittelbarer Nähe stattfand, marschierte er zu Fuß. Enter mochte dieses zweitägige Volksfest und die Musik der Kreischberg Buam, die er mit der schönsten Zeit im Jahr verband - seinem Urlaub in der Steiermark. Gut gelaunt mischte er sich unter die heiteren, vorwiegend einheimischen Festgäste, die sich an lokalem Gebräu, spritzigen Weinmischungen, regionalen Schmankerln und an der zünftigen Blasmusik erfreuten. Die Begeisterung war dermaßen groß, dass sich nach beinahe jeder Nummer ein edler Spender fand, der die 13 Musikanten auf eine weitere Runde einlud. Was die musikalische Qualität zwar hörbar verschlechterte, der guten Stimmung jedoch keinen Abbruch tat. Denn auch die Gäste wurden immer feucht-fröhlicher. Bis plötzlich einer Trompete ein besonders schräger Ton entkam und der dazugehörige Bläser vom Stuhl kippte. Die Musik stoppte, das Lachen der Menschen verebbte. Alles starrte zur Bühne, wo sich zwei Musiker über den krampfenden Körper des Trompeters beugten. „Ist ein Arzt da?", rief der Tubaspieler ins Mikrophon, während der Klarinettist sein Handy zückte. Enter erklomm die Bühne. Der Mann brauchte keinen Arzt mehr. Aus seinem Mund quoll Schaum, die Pupillen waren geweitet, und Puls war keiner zu fühlen. Allem Anschein nach war er vergiftet worden. „Rufen Sie 133", wies Enter den Klarinettisten an und hob seinen Dienstausweis in Richtung Publikum. Dann nahm er dem Tubaspieler das Mikrophon aus der Hand und sprach zur Menge: „Kriminalpolizei! Keiner trinkt oder isst weiter! Lassen Sie bitte die Getränke und Speisen stehen! Und rühren Sie sich nicht von der Stelle bis meine Kollegen eintreffen." Sein Verdacht, dass der tote Trompeter nicht der Einzige sein könnte, dem jemand den Garaus machen wollte, sollte sich nicht bestätigen. In keinem anderen Glas fanden sich Giftspuren, erfuhr er einige Tage später von einem der ermittelnden steirischen Kollegen. Aus reiner Neugierde wohnte Enter den Zeugeneinvernahmen bei und war heilfroh, dass er seinen Urlaub jederzeit fortsetzen konnte. Die Forellen in der Mur warteten bereits darauf, von ihm an Land gezogen und verspeist zu werden.
„I hob nur b'stöllt und zoit. Neun Bier, drei Mischungen, an' Radler und 13 Vogelbeeren", gab der Vizebürgermeister, der die letzte Runde für die Musikanten spendiert hatte, zu Protokoll und wedelte mit der Mehrwertsteuerrechnung, die für seine Buchhaltung vorgesehen war. Dass dieser nun dem Verstorbenen, der auch das Amt des Bürgermeisters bekleidet hatte, folgen würde, verlieh ihm zumindest ein Motiv. Doch die Gelegenheit, sein Opfer gezielt zu treffen, hatte ihm gefehlt.
„Jo, i hob die Getränke von der Schank g'hoit und aufi trog'n", meinte Kellnerin Anni unter Tränen. „Dass ausgerechnet der Max den vergifteten Radler da'wischen muaß, wo den doch der Sepp b'stöllt hat und er a Bier ..." War der Tote tatsächlich Opfer einer Verwechslung geworden?, fragte sich Enter, während Anni heftig schluchzte. Wie ihm einer der Musikanten berichtete, waren die beiden seit kurzem ein Paar gewesen. Das lenkte den Verdacht auf Sepp, den anderen Trompeter, den Anni wegen Max verlassen hatte. „Mir san scho' ordentlich aneinander klescht wegen der Anni", gab Sepp zu. „Oba desweg'n bring i do net mein' Kolleg'n um. Wia denn a?" Nun ja, nachdem der Befragte bei den Auftritten stets unmittelbar neben dem Verblichenen gesessen war, hätte er das Gift leicht in dessen Radler kippen können. Oder besser in den eigenen, zumal er es war, der diesen bestellt hatte. Das machte keinen Sinn. Außerdem hätte er riskiert, vom einen oder anderen im Publikum beobachtet zu werden. Von denen wollte jedoch niemand was gesehen haben.
Florian, der alle Getränke der Musiker eingeschenkt hatte, war - wie schon der Vizebürgermeister - nicht in der Lage gewesen, Einfluss auf deren Zuteilung zu nehmen. Außerdem war er Hobbytrompeter und ein treuer Fan der Kreischberg Buam. Eines Tages würde er gut genug sein, um selbst mitspielen zu können, war er zuversichtlich. Ein Platz für einen Trompeter war ja nun frei. Schon wieder ein Motiv! Enter beschloss, sich lieber den Forellen als diesem verzwickten Fall zu widmen, als es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel, wer das Getränk vergiftet hatte.

Frage: Wen verdächtigt Enter der Giftmischer zu sein?

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Die Autorin

Claudia Rossbacher wurde in Wien geboren, hat seither aber in Städten von Teheran bis Jakarta gelebt und als Model und Werbetexterin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie als freie Autorin Kriminalromane („Hillarys Blut“). Im Herbst erscheint ihr neues Werk „Drehschluss“.
www.krimiautoren.at

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