Missverstandene Songs: Diese Lieder handeln von etwas ganz anderem

Songs lassen sich leicht missverstehen – ob es an der Sprache liegt, am Slang, an den Metaphern oder schlicht daran, dass man schlampig zuhört. Der deutsche Musikenthusiast Michael Behrendt hat 66 Songmissverständnisse in seinem Buch "I don't like Mondays" gesammelt (Verlag Theiss). In 14 Großkapiteln und 66 Unterkapiteln beschreibt er, wie diese einzelnen Songs intendiert waren - und wie sie vom Publikum aufgenommen wurden, oder gar von der Politik oder Werbung missbraucht. "Die Presse" stellt 10 der Beispiele vor.

Bruce Springsteens „Born in the USA“ wird gerne von Konservativen vereinnahmt, die darin eine patriotische Botschaft herauslesen – so verwendete Ronald Reagan das Lied, ehe sich Springsteen diese Vereinnahmung verbat. Eigentlich handelt das Lied von einem jungen Mann ohne Zukunft, der sich der Armee anschließt, weil er keine andere Zukunftsperspektive hat. Er wird nach Vietnam geschickt, nach seiner Rückkehr ist die Situation noch schlimmer - er wird mit seinen Kriegserinnerungen alleine gelassen. Am Ende ist er gar obdachlos: „I'm ten years burning down the road, Nowhere to run ain't got nowhere to go.“ Das klingt nicht gerade nach „American Dream“, eher nach dem amerikanischen Albtraum.

„Angie“ von den Rolling Stones wurde unerlaubterweise im Wahlkampf für Angela Merkel 2005 verwendet. Geklagt haben die Rocklegenden nicht, aber sich in einem öffentlichen Statement gegen die Verwendung geäußert. Vor allem aber passt der Text des Songs so gar nicht zu Merkel: das wehmütige Lied handelt von einer gescheiterten Beziehung und von enttäuschten Träumen. Überhaupt eignet sich der Text kaum für Wahlkampf: „Oh, Angie, don't you weep, All your kisses still taste sweet, I hate that sadness in your eyes.“

„Griechischer Wein“ von Udo Jürgens wird gerne als Urlaubs- und Trinklied verstanden und von Massen in Zelten gegrölt – dabei handelt das Lied doch eigentlich von Gastarbeitern, wie man aus dem Text ablesen kann: ein Ich-Erzähler betritt ein Lokal, in dem „Männer mit braunen Augen und mit schwarzem Haar“ sitzen und Musik erklingt, die „fremd und südländisch“ klingt. „Schenk' noch mal ein! Denn ich fühl' die Sehnsucht wieder; in dieser Stadt werd' ich immer nur ein Fremder sein, und allein“, heißt es darin.

„I don't like Mondays“ von der irischen Band The Boomtown Rats ist kein Song für Montagsmuffel. Im Text kommt eine 16-Jährige vor, der die Sicherungen durchbrennen. „School's out early and soon we'll be learning, And the lesson today is how to die“ heißt es im Text weiter. Denn das Lied handelt von einem Schulmassaker, das tatsächlich stattfand: am 29. Januar 1979 schoss die damals 16-jährige Brenda Ann Spencer in der Nähe von San Diego von ihrem Schlafzimmerfenster aus auf eine Grundschule. Der Direktor und der Hausmeister starben, acht Schüler und ein Polizist wurden verletzt. Während der Tat rief ein Journalist sie an und fragte sie nach ihrem Motiv. Ihre Antwort: „I don't like Mondays. This livens up the day.“ Das „Tell me why“ des Refrains im Song wird von einem Chor gesungen, das „I don't like Mondays“ singt Bob Geldof – man kann es also als Frage und Antwort verstehen.

„Every Breath You Take“ von The Police gilt als Liebeslied – doch der Text klingt gar nicht lieblich: der Ich-Erzähler schildert, wie er die geliebte Person, von der er verlassen wurde, beobachtet: bei jedem Schritt, jedem Atemzug, an jedem Tag und jedes Mal, wenn die Person wo über Nacht bleibt ... Brrr.

„Ich lass dich nicht los“ von Fettes Brot ist noch schlimmer, denn es ist keine hübsche R'n'B-Ballade über ein glückliches Paar, wie man Anfangs vermuten möchte. Vielmehr handelt es sich bei dem Ich-Erzähler um einen Stalker, dessen Liebesbezeugungen alles andere als erwünscht sind. Über den Freund der Angebeteten heißt es einmal: „Dieser Scheißkerl hat die Blumen weggeschmissen, Meine Briefe alle gleich zerrissen. Du hast 'ne neue Nummer, ich kann nicht mal smsen.“ Gegen Ende hin wird es noch dramatischer: „Wir sind doch ein Traumpaar, das sieht jeder. Auch dein Freund, wenn er wieder mal die Bullen ruft. Du musst gar nichts sagen. Klar, dass du nur so tust. Und deine Anzeige war ja nur ein Fehler.“

Zu Krisenzeiten werden Songs auch gerne missverstanden – beziehungsweise werden sich gleich zensuriert, um nicht missverstanden zu werden. Im Zweiten Golfkrieg (1990 - 1991) wurden etwa einige Songs aus dem Radio verbannt, um keine unerwünschten Assoziationen zu wecken. Darunter Liebeslieder, die Schlachtenmetaphorik verwenden, wie „Waterloo“ von Abba, oder welche, die mit dem Bild des metaphorischen Todes arbeiteten wie „I Just Died in Your Arms Tonight“ von Cutting Crew. Selbst Friedenslieder wie „Give Peace a Chance“ von John Lennon wurden nicht gespielt.

Zu den häufigsten Missverständnissen gehören natürlich Verhörer, die der Autor in verschiedene Kateogien teilt – je nachdem, ob das tatsächlich Gesungene und das Verstandene in derselben Sprache sind oder nicht. Am häufigsten kommt es freilich bei fremdsprachigen Texten zu Verhörern, aber auch im Deutschen versteht man manches falsch. Der vielleicht verbreitetste österreichische Verhörer kommt im Buch nicht vor: Die Textzeile „und wenn ihr a wollt's a ganz allan“ in Rainhard Fendrichs „I am from Austria“ wird oft missverstanden. Als „und wenn I Walzer tanz allan“ oder „und wenn I im Wald sitz' ganz allan“ beispielsweise ...

Auch die Werbung versteht Songs falsch – manchmal sogar absichtlich. Johnny Cashs „Ring of Fire“, geschrieben von Cashs späterer Frau June Carter und Songwriter Merle Kilgore, handelt von feuriger Liebe. Anders interpretierte eine Werbeagentur für einen Pharmaziekonzern das Lied: diese wollte den „Ring of Fire“ nämlich in einer Werbung für ein Medikament gegen Hämorrhoiden einsetzen. Der Familie des verstorbenen Sängers ging das zu weit: sie wehrte sich erfolgreich gegen die Verwendung des Liedes.

„Burli“ von der Wiener Band EAV ist ein eingängiges Lied mit provokantem Text – und genau deswegen blieb der Song bei den Verkaufszahlen unter den Erwartungen. Denn der Bayrische Rundfunk und Ö3 weigerten sich, ihn zu spielen, mit der Begründung, dieser sei behindertenfeindlich. Denn der „Burli“ im Text weist Missbildungen auf – diese sind aber keineswegs „normale“ Behinderungen, sondern stark übertrieben, denn er hat „links und rechts drei Ohrli, an jeder Hand zehn Finger und Hände hat er vier“. Der EAV-Song macht sich mit dem Lied nicht über Behinderungen lustig, sondern kritisiert Atomkraft, wie man unschwer aus dem Text herauslesen kann: „Da steht ein Kernkraftwerk, da gab es eines Tages eine kleine Havarie, die Tomaten waren so groß wie nie.“
>> Mehr gibt es in Michael Behrendts Buch: „I don't like Mondays. Die 66 größten Songmissverständnisse“