J-Pop
Japans groteske Girlgroups
Sie sehen süß aus, singen meist quietschfröhliche Poplieder und treten vor allem im Rudel auf: Japans "Idol"-Bands. Im Kampf um Aufmerksamkeit ist ihnen kein Mittel zu schrill. Doch der Hype hat eine dunkle Seite.

Benannt nach dem Tokioter Stadtteil Akihabara und der anfänglichen Mitgliederzahl, ist AKB48 die wohl präsenteste Idol-Band – so (japanisch: „Aidoru“) werden die fabrizierten Teenager-Stars genannt, die süß und kindlich aussehen, von Agenturen rigoros gemanagt werden und die J-Pop-Szene mit ihrem Kaugummipop dominieren. Die Band ist recht hierarchisch in Teams organisiert – somit können Fans in ganz Japan sie täglich live erleben. Im bandeigenen Konzertsaal (im oberen Stock eines Ramsch-Kaufhauses) in Akihabara finden jeden Tag Auftritte statt, zudem sind einzelne Teams ständig auf Tour. Auf die CD-Cover darf eine Auswahl der Alpha-Mädchen (genannt „Senbatsu“) der Gruppe.
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Die Band hat mittlerweile Schwesternprojekte nach demselben Prinzip in vielen Städten: HKT48 in Fukuoka (im Bild) oder NMB48 in Osaka. Auch außerhalb Japans: SNH48 hat etwa in Shanghai ihren Sitz.
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Nicht nur, was die Organisationsstruktur und den täglichen Fankontakt betrifft, setzte AKB48 Maßstäbe: Die Mädchen leben inszenierte Leben, die von den Fans mitverfolgt werden können, etwa über soziale Medien. Das erfordert viel Kontrolle, sollen die Mädchen doch moralische Reinheit und beste Manieren zeigen (und den männlichen Fans signalisieren, dass diese theoretisch eine Chance bei ihnen hätten): Also sind Beziehungen zum männlichen Geschlecht verboten, der Alltag wird zur ewigen Theatershow. Der Tag ist zugeplant mit Terminen, ein Privatleben praktisch unmöglich. Ein Modell, das andere Idol-Agenturen freudig übernahmen.
The Asahi Shimbun via Getty Images

Die Ausmaße der Kontrolle und Manipulation sind manchmal unvorstellbar: Nachdem AKB48-Mitglied Minami Minegishi 2013 dabei beobachtet wurde, wie sie das Haus eines Boyband-Mitglieds verließ, wurde sie nicht nur auf „Trainee“-Status heruntergestuft. Auf dem Youtube-Kanal der Band erschien ein Video, auf dem sie sich – mit geschorenem Kopf und unter Tränen – für ihr „Vergehen“ bei den Fans entschuldigte.
Youtube: AKB48

Nach seiner erfolgreichen Erfindung AKB48 schuf Produzent Yasushi Akimoto 2011 mit Nogizaka46 einen offiziellen Gegner für die Band – benannt nach dem Nogizaka-Gebäude in Tokio, Sitz von Sony Music. Auch diese Gruppe ist inzwischen gewachsen und hat Ableger generiert. Ganz so groß ist die Rivalität aber nicht: Als sogenannte „Austauschschüler“ schnuppern Mädchen aus der 48-er Partie auch manchmal bei den 46ern rein.
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Yasushi Akimoto gilt als Mastermind der Idol-Industrie: Schon 1985 gründete er Onyanko Club („Kätzchenclub“), eine Band aus insgesamt 52 Schülerinnen. Je mehr Mitglieder, desto höher die Chance, dass das Publikum sich mit einem davon besonders identifizieren kann, war die Idee. Wenige Wochen nach der Gründung – noch vor der ersten Single-Veröffentlichung – wurden sechs Mädchen rausgeworfen, weil sie von einem Boulevardmagazin beim Rauchen fotografiert worden waren. Schon 1987 löste sich das Projekt wieder auf.
Youtube

Die „Morning Girls“, seit 1997 im Geschäft, sind in „Generationen“ organisiert: Jedes Jahr rücken Neulinge – oft erst 12-Jährige – nach, ältere „graduieren“, damit ist ewige Jugend garantiert. Kurzlebige Schwesternbands bedienen den Markt für Country- oder Öko-Pop.
Twitter: Morning Musume

Momoiro Clover Z, genannt „Momokuro“, ist eine der beliebtesten Idol-Bands: Sie mischt wild musikalische Stile, vollführt live akrobatische Stunts. Für japanische Animeserien wie „Pokémon“ und „Sailor Moon“ lieferte sie Lieder, tourte auch im Westen – und spielte sogar mit Kiss eine Single ein.
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Das japanische Niedlichkeitsprinzip Kawaii trifft auf Heavy Metal, Piepsstimme auf Schreie und Gitarrenriffs – eine Mischung, die die drei Mädchen von Babymetal schon ins Vorprogramm von Metallica oder auf die Rock-am-Ring-Bühne brachte. Statt Mano cornuta zeigen sie kindgerecht die „Fuchs-Hand“.
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Die „maskierten Mädchen“ geben sich als rebellische Anti-Idols – auch wenn sie in vieler Hinsicht doch genau das Klischee erfüllen. Im kurzlebigen, umkämpften J-Pop-Markt ist ihr Gimmick die Serienkiller-Maske, dazu gibt es wilde Bühnenshows mit Riesenplastikwaffen, Klopapierkanonen und Headbanging. Dazwischen wird trotzdem niedlich in Formation getanzt. Auch Kamen Joshi bespielt mehrmals täglich eine eigene Location und ist in Untergruppen, die verschiedene Stile bedient, geteilt.
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Publikumsbeteiligung passiert nicht nur während der Konzerte, bei denen die Fans einer eigenen, streng geregelten Choreografie folgen: Nach der Show stimmen die Fans ab, welches Mädchen ihnen am besten gefallen hat. Auch bei anderen Idol-Bands ist so ein Ranking üblich: Der Publikumsgeschmack entscheidet mit, welche Mädchen in die nächste Liga aufgestuft werden.
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Die dreiköpfige Gruppe hat mitgeholfen, das anfangs nerdige Image, das Idol-Bands und deren Fans hatten – immerhin hat die Szene ihr Zentrum in jenem Viertel Tokios, in dem auch Mangas, Anime und Spielautomaten dominieren –, in den Mainstream zu rücken. Dabei stammt Perfume eigentlich aus Hiroshima: Drei Schauspielschul-Kolleginnen schlossen sich zusammen, und weil ihre Vornamen alle das japanische Zeichen für „Duft“ enthalten, nannten sie sich Perfume. Bald zogen sie nach Tokio und begaben sich in die Obhut einer großen Talentagentur, seit 2008 stürmen sie die japanischen Charts mit einem Mix aus Kaugummi- und Techno-Pop und einem eher coolen als niedlichen Kleidungsstil.
Universal Music

Dass Idols nicht zwangsläufig gut singen können müssen, sondern wegen ihrer Niedlichkeit und ihrer Mädchen-von-nebenan-Ausstrahlung ausgewählt werden, ist kein Geheimnis. Die Gruppe Shiritsu Ebisu Chugaku, übersetzt „private Mittelschule Ebisu“ (und als Schulband inszeniert), treibt das Prinzip auf die Spitze, indem sie sich mit ihren betont mittelmäßigen Sing- und Tanzqualitäten auch noch vermarktet: „Ungelenkiger Tanz und wacklige Stimmen“ lautet ihr Motto.
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Auch mit J-Pop-Projekten kann man auf einen Hype aufspringen: Jedes Mädchen der im Jänner 2018 gegründeten „Virtual Currency Girls“ verkörpert mit passenden Wrestler-Masken eine andere Krypto-Währung, von Bitcoin bis Ethereum. Die Band hat ein klares Ziel: Die Öffentlichkeit über die Vorzüge dieser Währungen aufzuklären. Konzerttickets, Merchandising-Produkte und Musik der Band kann man – erraten! – ausschließlich mit virtuellem Geld kaufen.
Cinderella Academy

Eine Girlgroup wie keine andere: Die Zahl im Bandnamen spielt hier weniger auf die Mitgliederanzahl an (es sind 33) als auf das Alter der „Girls“: Unter 80 ist hier keine. Ihre Heimat, die japanische Provinz Okinawa, bestehend aus vielen kleinen subtropischen Inseln, hat eine der höchsten Lebenserwartungen der Welt. KBG84 macht Idol-Pop, inspiriert von traditionellen Klängen der Insel Kohama, und trägt dazu regionale Tracht. Bei ihrer ersten Japan-Tournee war jedes einzelne Konzert ausverkauft. Backstage lagen bereit: Rollatoren und Blutdruckmessgeräte.
Twitter: @kbg84kohamajima