Wallner: „Wir wollen europaweit die Nummer eins in der dualen Ausbildung sein“

(C) Frederick Sams
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Interview. Landeshauptmann Markus Wallner will steigende Kosten und Fachkräftemangel in den Griff bekommen, um den innovativen Produktionsstandort aufrecht zu halten.

Vorarlberg zählt zu den erfolgreichsten Wirtschaftsstandorten Österreichs. Worin unterscheidet sich Vorarlbergs Wirtschaftsstruktur von anderen Bundesländern?

Markus Wallner: Herausstechend sind die starke Familienbetriebsstruktur, die hohe Eigenkapitalquote, die Vielfalt der Branchen sowie die hohe Export- und Produktionsquote. Vorarlberg ist kein reiner Dienstleistungs- oder Tourismusstandort, sondern ein Produktionsstandort. Nach Oberösterreich sind wir der stärkste Industrieproduktionsstandort des Landes.

Allerdings hat Vorarlberg mit dem Bodenseeraum stark konkurrierende Nachbarn. Macht es das schwieriger?

Wir sind in der Tat eingebettet in einer sehr wettbewerbskräftigen Nachbarschaft. Nicht nur der Bodenseeraum, auch die unmittelbaren Regionen Italien, Tirol, Bayern, Baden-Württemberg bis hin zu den Schweizer Kantonen sind alle hoch innovativ. Somit sind wir ein wettbewerbsintensives Umfeld gewohnt. Das ist eher Vorteil als Nachteil, weil man von der Dynamik profitiert. Im Unterschied zu den ostösterreichischen Bundesländern haben wir keine Erfahrung mit dem Eisernen Vorhang gemacht. Vorarlberg war immer eine offene, prosperierende und insofern auch eine europafreundliche Region. In den letzten zehn Jahren sind wir dreimal so schnell gewachsen wie der Österreichdurchschnitt. Neueste Zahlen belegen, dass wir nach wie vor ein deutlich höheres Entwicklungstempo haben. Der gesamte Bodenseeraum wächst dynamisch und das schon über viele Jahre. Deshalb bin ich auch für die Zukunft optimistisch.

Wie weit können sich Firmen bei der beschränkten Landesgröße noch ausbreiten? Sind noch genügend Flächen zur Expansion vorhanden oder besteht die Gefahr, dass Betriebe abwandern?

Derzeit sind die Investitionen in den Standort sehr hoch. Es gibt sehr viele weltweit erfolgreiche Familienbetriebe, die ihre Headquarter erweitern, oder auch neue Niederlassungen suchen. Das ist doch der beste Vertrauensbeweis in unseren Wirtschaftsstandort und zeigt auch, dass es momentan noch genügend Flächen gibt.

Vorausgesetzt, man kann sich eine Niederlassung auf diesen Flächen leisten. Die Grundstückspreise in Vorarlberg sind sehr hoch. Stellt das kleinere Unternehmen nicht vor ein riesen Problem?

Die steigenden Grundstückspreise sind für alle ein Problem, egal ob groß oder klein. Die Flächen sind stark umkämpft, vom Wohnbau, über die Landwirtschaft und den Tourismus bis hin zur Industrie. Wir erleben einen starken Zuzug, vor allem aus Deutschland. Es ist angesagt, im Rheintal zu wohnen. Die Bevölkerung wächst, der Raum wird knapp. Wer eine attraktive Region anbieten kann, hat mit Grundstückspreisen zu kämpfen.

Vorarlberg hat eine Novelle der Neuordnung der Raumplanung und des Grundverkehrs in Begutachtung gegeben. Reicht das aus, um die Probleme zu lösen?

Die Novelle hat die Begutachtung positiv bestanden und tritt im März 2019 in Kraft. Das Lob der Begutachter war groß und reicht bis zum Feedback, dass es sich um das „modernste Gesetz Österreichs“ handelt. Mit der Novelle werden wesentliche Weichen gestellt, wie die Vertragsraumordnung, das Einbremsen der Grundstückshortung sowie klare Regeln, dass ein Grundstück in einer gewissen Zeit genützt werden muss und nicht brachliegen darf. Es gibt viele gewidmete Flächen, die nicht genutzt werden. Das hat Auswirkungen auf den Grundstückspreis. Deshalb versuchen wir langfristig, die gewidmeten Flächen in eine Umwidmung zu bringen. Gleichzeitig müssen Neuwidmungen für Private und Wirtschaft genutzt werden. Wir überlegen auch die Einrichtung eines Bodenfonds, um Reserven zu schaffen und günstigere Flächen zu ermöglichen. Aber in einem dynamischen, aufgeheizten Markt werden sich die Preise so schnell nicht senken lassen. Ich wäre bereits froh, wenn es uns gelingt, die Preise zu stabilisieren.

Was tut das Land, um Konflikte zwischen Industrie und Fremdenverkehr zu vermeiden?

Wir versuchen langfristig ein Raumbild zu entwickeln. In dem laufenden Prozess „Raumbild 2030“ machen wir uns Gedanken, wie sich bei enger werdenden Bodenressourcen eine vernünftige Raumverteilung vollziehen lässt. Da geht es u. a. um die Fragen, wie hoch und wie verdichtet gebaut werden darf. Im Unterschied zu Tirol haben wir einen sanfteren Tourismus. Vorarlberg ist eher von Industrie geprägt, aber es stimmt, der Tourismus holt auf und neben dem Wintertourismus nimmt allmählich auch der Sommertourismus Fahrt auf. Da kommt es zu Schnittpunkten mit Industrie und Produktion und wir achten auf eine saubere Entwicklung.

Wie sieht „sauber“ aus?

Es geht zum Beispiel um Industriearchitektur. Produktionsstandorte müssen sich harmonisch in die Umgebung einfügen. Sehr gelungen ist meiner Meinung nach die neue Doppelmayr-Zentrale in Wolfurt, direkt an der Grenze zur Grünzone. Architektonisch sehr modern und gut gelöst. Bisher war Vorarlberg über die Grenzen hinweg nicht für moderne Architektur bekannt. Nun setzen wir auch hier deutliche Akzente. Wir versuchen Lebensraum und Wirtschaft eng aneinander zu binden und achten auf eine Symbiose.

Sie haben die Grünzone angesprochen. Im Rheintal gibt es eine sogenannte Grünzonenverordnung. Ist es noch möglich, Grünflächen vorzuenthalten?

Ja, das funktioniert sehr gut. Wir konnten die Grünraumzone trotz Raumwachstums halten. Die Herausnahme an Flächen liegt unter einem Prozent (Anm.: 0,6 Prozent) seit Bestehen dieser Zone. Zusätzlich haben wir eine zweite Zone entlang des Rheins geschaffen – die sogenannte Blauzone, bei der Hochwasserschutz im Mittelpunkt steht. Der Rest ist verfügbar. Wenn wir Fläche aus der Grünzone herausnehmen, verlangen wir, dass eine Ersatzfläche eingebracht wird. Allerdings wird es zugegebenermaßen schwieriger, quantitative Ersatzflächen zu schaffen.

Bei Neugründungen ist Vorarlberg Schlusslicht in Österreich. Gibt es von Landesseite Initiativen, um Neugründungen zu forcieren?

In erster Linie war Vorarlberg immer schon eine Region, die stark auf bestehende Betriebe setzt. Vor allem auf vorhandene Familienbetriebe und weniger auf Ansiedlung von außen. Heimische Unternehmen haben Vorrang. Aber wir bemühen uns auch um Neugründungen. In letzter Zeit investieren wir speziell in die digitale Szene und damit auch in Start-ups. Wir versuchen etwa in Dornbirn eine alte Postgarage zu einem digitalen Start-up-Zentrum zu verwandeln.

Ist Vorarlbergs Wirtschaft fit für das digitale Zeitalter?

Wir sehen in der Digitalisierung eine große Chance für Vorarlbergs Wirtschaft. Das Land könnte sich ganz besonders hervortun, wenn es gelingt, die starke Produktionskompetenz mit Digitalisierung zu verbinden. Viele Unternehmen sind im Umbruch und versuchen genau das. Dieser Prozess setzt aber sehr viel Arbeit voraus.

Das wird weitere Fachkräfte verlangen. Sie wollen Vorarlberg zum Bundesland mit den besten Fachkräften machen. Wie soll das gehen, wenn es nicht einmal eine Universität in Vorarlberg gibt?

Vorarlberg setzt nicht so stark wie andere Bundesländer auf tertiäre Ausbildung, sondern auf die duale Ausbildung. Wir forcieren außerdem intensiv die frühpädagogische Ausbildung, aber besonders eben die duale Ausbildung. Der Österreichschnitt von Jugendlichen, die eine Lehre absolvieren, liegt bei 40 Prozent. Vorarlberg kann über 50 Prozent vorweisen. Jeder zweite Jugendliche in Vorarlberg macht eine Lehrausbildung, manche auch Lehre plus Matura und gehen dann weiter in die Fachhochschule.

Wie fördert das Land nun speziell die duale Ausbildung?

Erstens haben wir eine Wirtschaft im Land, die sich zur Ausbildung bekennt und Nachwuchs ausbildet. Die große Stärke der dualen Ausbildung ist die Ausbildung im Betrieb. Österreichweit schrumpft die Zahl der ausbildenden Betriebe. Nicht in Vorarlberg. Hier sind sich viele Firmen bewusst, dass sie selbst ausbilden müssen. Wir ergänzen das Ganze durch ein modernes Berufsschulwesen. Wir modernisieren die Ausbildungsstätten konsequent und achten darauf, dass sich die Ausstattung der Schulen am letzten Stand der Technik befindet. Diese Kombination ist unschlagbar und führt dazu, dass das Image der Lehre steigt. Lehre ist keine Sackgasse, sondern ein Türöffner. Es gibt viele Unternehmen, die beachtlich viele ihrer Patente dadurch entwickeln, indem sie Lehrlinge experimentieren lassen. Wir wollen europaweit das Land der besten Fachkräfte sein. Geht es nach meiner Vision, dann denkt man in Europa in Zukunft an Vorarlberg, wenn man über eine gute duale Ausbildung spricht.

Wird dennoch auch in die tertiäre Ausbildung investiert?

Natürlich benötigen wir auch eine gute tertiäre Ausbildung als Ergänzung. Die Fachhochschule wird konsequent ausgebaut. In den nächsten Jahren investieren wir rund 50 Millionen Euro in die FH und wollen einen großen FH-Campus schaffen. Der Fokus der Fachhochschule ist auf technische Studiengänge gelegt, um genau die Fachkräfte auszubilden, die die Wirtschaft braucht. Wir streben auch eine kontinuierliche Steigerung der Studentenzahl an.

Wird aber nicht ausreichen, um den Fachkräftemangel zu beseitigen. Wie holt man diese ins Land?

Durch Zuzug alleine wird es nicht zu lösen sein. Österreich braucht eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Card. Eine intelligente Form der Immigration ist wichtig. Höchste Priorität liegt aber darauf, dass wir unsere eigene Jugend ausbilden wollen. Mit flächendeckenden Coachingprogrammen versuchen wir auch jene gezielt zu fördern, die nicht so einfach eine Ausbildung finden. Denn wir brauchen jeden einzelnen Jugendlichen. Jeder muss die Chance auf eine gute Ausbildung bekommen.

Bleibt zu hoffen, dass die gut ausgebildeten Fachkräfte dann nicht in die Schweiz abwandern, weil man dort besser verdienen kann.

Es gibt tausende Pendler, das ist in der Bodenseeregion ein übliches Phänomen. Der ganze Raum ist sehr in Bewegung. Viele der Pendler bleiben dauerhaft hier, wenn sie Kinder und Familie haben.

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