Guerilla Gardening: Die Saat geht auf

Guerilla Gardening Saat geht
Guerilla Gardening Saat geht(c) Julia Stix
  • Drucken

In Wien Meidling haben Künstler und Anrainer gemeinsam inspiriert vom Guerilla Gardening Vorgärten gestaltet.

TIPP

Die Wolfganggasse in der Nähe des Gürtels in Wien-Meidling ist eine jener gründerzeitlichen Alleestraßen, von denen es in Wien nicht so wenige gibt – nicht nur in den klassischen Grünbezirken, sondern auch mitten im verbauten Gebiet. Mit ihrem Baumbestand bringen solche Straßen viel Grün in den
städtischen Lebensraum, die Kehrseite ist, dass sie als Park- und Hundezonen überaus beliebt sind. Vier Jahre ist es her, dass vor dem Haus Nummer 13 auf einem unscheinbaren, ein wenig zertrampelten Stück Grünstreifen wie aus dem Nichts plötzlich ein buntes Blumenbeet auftauchte. „Malven, Lavendel, Ringelblumen, viele Kräuter“, listet Jutta Woertl-Goessler, die als Anrainerin rasch auf das Gärtlein aufmerksam geworden war, die Bepflanzung auf. Die Pflanzen waren ohne viel zu fragen und ohne bürokratischen Aufwand von einer benachbarten Familie eingesetzt worden.

Dass dieser Guerillagarten den ersten Sommer überlebt hat, ist ein Glücksfall. „Normalerweise“, sagt Woertl-Goessler, „sind die Stadtgärtner angehalten, solche illegalen Gärten zu entfernen“. Dass der Guerillagarten allerdings noch drei weitere Sommer überleben sollte, obwohl seine Betreiber bereits überlegt hatten aufzuhören, daran trägt Jutta Woertl-Goessler die „Schuld“. Denn just dieses Beet fungierte als Ideenspender und Initialzündung für ein von ihr kuratiertes Kunstprojekt rund um diese „Vorgärten“, in das die Architektin und Künstlerin auch die Bewohner der Umgebung einbinden wollte. „Mich hat es immer gestört, dass in einer Gegend wie dieser stets die Hierarchie gilt: Parkplatz ist alles. Dann kommen die Hunde. Am Schluss die Natur. Wo bleibt da die Maßstäblichkeit des Menschlichen? Das Gärtchen mit seiner Blumenbepflanzung hat zumindest den Blick derer, die es wahrgenommen haben, wieder darauf gelenkt. Diese Beobachtung war für mich dann Ausgangspunkt für ein Kunstprojekt, in dem es um Partizipation, Nachhaltigkeit, Kommunikation und Integration, aber auch um die Ausschöpfung des Potenzials der gründerzeitlichen Alleen gehen sollte.“

Bunte Straße. Ausgestattet mit einem Projektpapier konnte sie die Unterstützung der Bezirksvorstehung und in der Folge auch von KÖR, der kommunalen Initiative zur „Belebung des öffentlichen Raums der Stadt Wien“, erwirken. „Die Ursprungsidee war, Künstlerinnen und Künstler zu gewinnen, jeweils dort, wo sie wohnen, Grünzonen zu gestalten.“ Am Horizont stand die Vision: „Wenn die Saat aufgeht und der Gedanke überspringt, würde die Stadt auf diese Weise Straße um Straße belebt und bunter werden.“ Am Ende überwog doch der Realitätssinn. Das Projekt wurde unter dem Titel „garten.meidling“ mit fünf Kunst- sowie jeder Menge Anrainerprojekten in der Wolfganggasse gestartet.

„Garten hat für mich immer auch etwas mit Familie und Beziehungen zu tun. Es geht dabei um die Sensibilisierung für die kleinen Dinge. Deshalb hat es am Ende viel zum Gelingen des Projektes beigetragen, dass es im Wohn- und Freundesumfeld stattfindet“, sagt Woertl-Goessler. In dem Sinn war ihr das Einverständnis unter allen Beteiligten wichtig – vor allem der Austausch mit ihrem Exmann, dem Künstler Hans Wörtl, der von Beginn an miteingebunden war. So darf wohl auch der Untertitel von „garten.meidling“ mit einem Augenzwinkern gelesen werden: „Ein partizipatives Patchwork im gründerzeitlichen Raster von Wien.“

Doch vor allem in künstlerischer Hinsicht spiegelt jeder Baustein auch ein Stück persönliches Erleben wider. So schwingt etwa in der Einladung an das Künstlerpaar Iris Andraschek/Hubert Lobnig Woertl-Goesslers Wertschätzung für deren Engagement im öffentlichen Raum mit. „Die Art, wie die beiden das Gewöhnliche in den Freiraum transferieren und damit das Innere nach außen bringen, war für mich sehr inspirierend. ,garten.meidling‘ deutet eine umgekehrte Bewegung an: von außen nach innen, vom Land in die Stadt.“ In der Wolfganggasse haben die beiden nun einen veredelten Apfel-Birnen-Baum gepflanzt, auf den von den Anrainern jedes Jahr neue Edelreiser aufgepropft werden. Zu jeder Gabe gibt es ein Foto und ein Täfelchen, die die zugehörigen Geschichten erzählen, wodurch der Baum auch soziale Bezüge spiegelt.

Rosengarten. Den Finger auf zwei sensible Bereiche des öffentlichen Raums legen DJ Mira sowie Hans Wörtl: Wörtls über und über mit Gemüse, Pilzen und Kräutern bewachsenes „Treibhauto“ ist ein ironischer Kommentar auf den Verdrängungskampf zwischen Park- und Grünflächen. Die serbische Künstlerin wiederum hat ein bislang von Hundekot verunstaltetes Stück Rasen revitalisiert, darin mit pixelnd ausgelegten ­Pflastersteinen „My Space“ geschrieben und damit ein sanftes Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit der Natur gegeben.
Jutta Woertl-Goessler selbst schuf an verschiedenen Stellen in und um ihr Haus einen „Rosengarten“ als Memorial für ihre Großmutter Rosa Haag, die in Meidling gewohnt hatte, 1939 auf der Baumgartner Höhe interniert und in einer „Säuberungsaktion“ von den Nazis umgebracht wurde. Ein Teil der Installation ist für das fast vergessene Genre „Erzählung“ reserviert. In einem schattigen Innenhof werden eine Märchenerzählerin, eine in Wien lebende Tschetschenin oder Friseurmeister Erich Jo-Ham und Kabarettist Alf Poier auftreten.

Zwischen all dem wachsen die anonymen Gärten, die manche Bewohner der Wolfganggasse, angeregt durch die Kunstgärten, angelegt haben. Sie haben Menschen, die sich bis dahin zum Teil kaum kannten, einander nähergebracht; sie haben Gespräche, Bekanntschaften, manchmal auch Freundschaften gestiftet. Oder wie es Jutta Woertl-Goessler, nunmehr in der Rolle als Grätzelbewohnerin, sagt: „Ich wohne hier seit 24 Jahren. Aber erst jetzt weiß ich, warum ich da lebe.“

garten.meidling
Wolfganggasse, Wien 12., www.koer.or.at


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.