Culture Clash

Warum Glückseligkeit nicht nur Privatsache ist

Heil! Unter viel Nazidreck begraben liegt ein für unsere Lebensfreude essenzielles Wort: das Heil. Warum Glückseligkeit nicht nur Privatsache ist und was das Heil in Allerheiligen zu suchen hat.

„Heil Hitler!“ wurde gerade wieder im studentischen Liedgut und in einem FDP-Werbespot zum Anstoß. Während wir allerdings zu Hitler schon alles diskutiert haben, fehlt die andere Hälfte im öffentlichen Diskurs fast völlig. Dabei berührt sie doch die Grundfrage schlechthin: Was ist eigentlich das Heil? Und wie kann man es erlangen? Gute Fragen, auch zum Fest Allerheiligen, das auch Atheisten gerade einen freien Tag beschert hat. Die Heiligen verweisen ja auf das Heil. Das Schlüsselwort ist Vollkommenheit – aber nicht als Beschreibung ihres Lebenswandels. Was sie heiligt, ist ihre lebensbestimmende Hoffnung auf einen vollkommenen Glückszustand bei Gott, eben das ewige Heil.

Heil hat mit Ganzheit zu tun, wie bei der heilen Porzellantasse. „Holy“ und „whole“ sind verwandte Wörter. Der Grundtraum der verwundeten Menschheit ist die Hoffnung auf diese Ganzheit, auf ein Ende der Zerrissenheit, nach einem Zustand, der nicht nur gut, sondern ganz gut ist und bleibt. Heilssehnsucht kann individuell sein – wenn ich nur endlich im Lotto gewinne, wird alles gut –,aber auch kollektiv: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.

Innerweltliche Heilserwartung enttäuscht aber immer. Nichts wird vollkommen, alles bleibt Bruchstück. Ein Beispiel: Je mehr sich die Menschen bemühen, keine Rassisten zu sein, desto komplizierter wird es, diesem Bemühen zu entsprechen. Das hat gerade das Magazin „Elle“ erfahren, das dafür geprügelt wird, unstatthaft schwarze Models zu feiern. Oder Kanadas Premier Trudeau, der jetzt draufkommt, dass er sich vor 18 Jahren nicht als Aladdin hätte verkleiden dürfen.

Egal wie weit wir gehen, das wirkliche Heil wartet immer erst hinter der nächsten Ecke auf uns. Dass die Religionen unsere Heilserwartung auf das Jenseits richten, ist also keine unzulässige Vertröstung, sondern entspricht einer aufmerksamen Beobachtung der Welt und der Bedingungen menschlichen Glücks. Unzulässig ist lediglich, daraus Inaktivität im Diesseits zu rechtfertigen. Auch da bieten die Heiligen ein Gegenzeugnis. Waren sie doch aus Liebe zu den diesseits heillosen Menschen hochaktiv und haben mit ihrem am ewigen Heil geschärften Blick im Diesseits das Gute vermehrt. Das Heil lässt sich wissenschaftlich nicht festlegen und auch nicht durch politische Aktion herstellen. Darum entfernen wir es aus der öffentlichen Debatte und machen es strikt zur Privatsache. Aber woher nimmt eine Gesellschaft ihre Lebensfreude, wenn nicht aus einer gemeinsamen Hoffnung auf das Heil und gemeinsamen Ahnungen, wie man es erlangt?

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2019)

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