Hans Schafranek: Sommerfest mit Preisschießen

"Sommerfest mit Preisschießen" nennt der Historiker Hans Schafranek seine Untersuchung des NS-Putsches im Juli 1934. Im Mittelpunkt: das unkoordinierte Vorgehen der Putschisten in Wien und in den übrigen Bundesländern.

Die Durchführung eines Staatsstreiches und die Ermordung des Regierungschefs durch eine terroristische Bewegung unter aktiver Mithilfe eines mächtigen Nachbarstaates sind auch in der dramatischen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert außergewöhnliche Ereignisse. Der SS-Putsch in Wien am 25. Juli 1934 und der nachfolgende NS-Aufstand in der "Provinz" sind daher schon bald nach der Etablierung der Zeitgeschichteforschung in den 1960er-Jahren zum Forschungsgegenstand geworden.

Das 1976 erschienene Standardwerk von Gerhard Jagschitz hat zwar einiges Licht auf die durch Rivalitäten, Machtkämpfe und Intrigen geprägten Verhältnisse in der österreichischen NS-Bewegung geworfen, wichtige Fragen - etwa die Umstände des Todes von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, die zwielichtige Rolle des Heimwehrführers Major Fey oder die Planungen der in München operierenden österreichischen NSDAP-Landesleitung - sind durch nicht mehr vorhandene oder damals nicht zugängliche Quellen unbeantwortet geblieben. Dies gilt auch für die aufschlussreiche Arbeit von Kurt Bauer, in der vor allem der Ablauf des Aufstands in den Bundesländern rekonstruiert wird.

"Sommerfest mit Preisschießen" nennt der bisher vor allem durch Publikationen über den Stalinismus hervorgetretene Wiener Historiker Hans Schafranek seine "unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934", wobei sich der Haupttitel auf den Funkbefehl der österreichischen SA-Führung zum bewaffneten Aufstand bezieht. Aus der von ihm versuchten Klärung der Forschungsdesiderata resultiert eine zumindest partielle Neubewertung des Juliputsches, vor allem der Ereignisse außerhalb Wiens, und eine Präzisierung des Verhältnisses NSDAP - SS - SA.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das aufs Erste unverständliche zeitliche und örtliche Auseinanderklaffen zwischen dem SS-Putsch in Wien und den erst später einsetzenden Aufständen in den anderen Bundesländern - ein offenbar unkoordiniertes Vorgehen, das die Niederschlagung der regionalen Erhebungen stark begünstigte.

Die Rivalitäten zwischen der von Theo Habicht geleiteten NSDAP-Landesleitung Österreich in München beziehungsweise der mit ihr verbündeten SS und der damals noch starken österreichischen SA-Führung unter Hermann Reschny hatten eine gemeinsame Strategie zur gewaltsamen Machtergreifung verhindert, und beide Gruppierungen entwickelten Putschpläne, in die sie ihre innerparteilichen Konkurrenten nicht oder nur unvollständig einweihten.

Schafranek arbeitet heraus, dass sich im Frühjahr 1934 ein geheimes Bündnis zwischen der NSDAP-Landesleitung Österreich, der SS und den zu SA-Führern mutierten Leitern des Steirischen Heimatschutzes (Rauter, Kammerhofer und anderen) herauskristallisierte, deren Putschvorbereitungen der österreichischen SA-Führung in München verborgen blieben. Der fast zeitgleich mit dem SS-Putsch erfolgte SA-Aufstand in der Steiermark diente der Unterstützung der Wiener Putschisten.

Nach dem Scheitern der SS-Putschisten in Wien sah Reschny die Chance einer alleinigen Machtergreifung der SA in Österreich und gab unter Missachtung der zuvor von Hitler in Bayreuth erhaltenen Weisungen am Abend des 25. Juli die Aufstandsbefehle nach Österreich durch beziehungsweise alarmierte die in Bayern stationierte, aus militanten NS-Flüchtlingen rekrutierte Österreichische Legion. Ihr Einsatz wurde allerdings von Hitler aufgrund außenpolitischer Zuspitzung - Mussolini ließ Truppen am Brenner aufmarschieren - verhindert.

Bekanntlich wurde der (mit einem gefälschten Pass der Münchener Polizei ausgestattete) Kurier mit dem SA-Aufstandskonzept in Kollerschlag/Oberösterreich abgefangen, und das Kollerschlager Dokument lieferte der österreichischen Regierung den Beweis für die deutsche Fernsteuerung des NS-Putsches. Schafranek vertritt die - zugegebenermaßen nicht belegte - These, dass der SA-Führer Reschny mit der Auslösung des SA-Aufstands nach dem offenkundigen Scheitern des SS-Putsches eine Hegemonialstellung der SA in Österreich und eine Kräfteverschiebung zugunsten der SA im Deutschen Reich anstrebte, die die gewaltsame Ausschaltung der SA-Führung durch Hitler am 30. Juni 1934 ("Röhm-Putsch") "rückgängig" machen sollte.

Insgesamt bedeutete der Juliputsch eine schwere Niederlage des Nationalsozialismus. Der außenpolitisch schwer kompromittierte Hitler distanzierte sich von dem Unternehmen, entließ den Landesinspekteur Habicht und verkündete die Auflösung der NSDAP-Landesleitung, der SA-Führung und der Österreichischen Legion; nur Reschny verstand es, seine Rolle zu verschleiern. Eine 1938 von Reichsführer SS Himmler eingesetzte Untersuchungskommission verlief im Übrigen im Sande. Nicht wenige Putschisten machten später NS-Karriere, wie etwa der steirische Heimatschutz-Führer Hanns Rauter, der als Sicherheitskommissar in den Niederlanden 140.000 Juden und Jüdinnen deportieren ließ.

Schafraneks für zeitgeschichtlich Interessierte lesenswerte Darstellung und Analyse der NS-internen Vorgänge hat weitere Bausteine für das löchrige Puzzle Juliputsch 1934 geliefert; ein vollständiges Bild des Geschehens wird es vielleicht nie geben. [*]

Hans Schafranek
Sommerfest mit Preisschießen
Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. 356 S., brosch.,  24,60 (Czernin Verlag, Wien)

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