Interview

„Wir verfolgen in Vorarlberg keine aggressive Ansiedlungspolitik“

VORARLBERG-WAHL: STIMMABGABE WALLNER (�VP)
VORARLBERG-WAHL: STIMMABGABE WALLNER (�VP)(c) APA/ GEORG HOCHMUTH
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Landeshauptmann Markus Wallner will den heimischen Unternehmen Wachstumsmöglichkeiten bieten. Ausländische Konzerne wolle er aber nicht nach Vorarlberg holen.

Herr Landeshauptmann, bevor ich auf die Vorarlberger Wirtschaft eingehe, würde ich gern über die Politik – die geschlagene Wahl und die künftige Führung des Landes – reden. Sie haben bei der Landtagswahl am 13. Oktober großen Zuspruch bekommen. Welchen Kurs werden Sie für die kommenden fünf Jahre einschlagen?

Markus Wallner: Das Wahlergebnis bestärkt uns in unserem Vorhaben, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Die Eckpfeiler unserer Arbeit sind klar und durchdacht: eine vernünftige Haushaltspolitik, eine positive Grundhaltung zur Europäischen Union, ein selbstbewusster Föderalismus, eine moderne und offene Standortpolitik, neue Strategien im Klimaschutz, die Energieautonomie, eine regionale und nachhaltige Landwirtschaft, alternative Formen der Mobilität, Sicherheit für die gesamte Bevölkerung, ein Altern in Würde und ein leistbares Leben. Beide Regierungsparteien haben dazugewonnen. Das zeigt, dass der Regierungskurs auf eine breite Zustimmung stößt. Für mich ist der Wahlausgang ein klarer Auftrag des Volks, die Arbeit mit der grünen Partei in Vorarlberg fortzuführen.

Seit wenigen Tagen steht Ihre neue Landesregierung – innerhalb eines Monats. Im Bund, wo wir zwei Wochen früher gewählt haben und die Ergebnisse und somit Konstellationen ähnlich sind, ist die Bundes-ÖVP weit weg von einer Regierungsbildung. Und viele meinen, dass sich das heuer nicht mehr ausgehen werde. Bei Vorarlberg hatte man das Gefühl, jeder wolle mit der Landes-ÖVP koalieren, und bei der Bundes-ÖVP, keiner wolle so recht. Wieso ist das so?

Auf Bundesebene sind die Voraussetzungen deutlich schwieriger: SPÖ wie FPÖ haben parteiintern große Probleme, die Grünen sind erst wieder ins Parlament eingezogen. Unter diesen Vorzeichen ist es schwierig, eine stabile Regierung zu bilden – doch genau das erwartet sich die Bevölkerung von der ÖVP mit Sebastian Kurz an der Spitze. In Vorarlberg verhält es sich da wesentlich unkomplizierter – in Bezug auf die Rahmenbedingungen und die Aufgabenstellungen, aber auch bezüglich der im Land arbeitenden Parteien. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man mit den Grünen in Vorarlberg oder eben mit den Bundes-Grünen eine Koalition bilden muss – schon das Selbstbild der beiden Parteien unterscheidet sich aus meiner Sicht fundamental.

Bitte um ein kurzes Resümee aus fünf Jahren Schwarz-Grün – aus Wirtschaftssicht.

Zu Beginn der Regierungszusammenarbeit gab es natürlich kritische Stimmen aus der Wirtschaft. Im Regierungsprogramm haben wir uns aber klar zum Wirtschaftsstandort bekannt. In den vergangenen fünf Jahren haben wir jetzt ein unheimliches Wirtschaftswachstum in Vorarlberg erlebt. Unsere Wirtschaft ist um ein Drittel schneller gewachsen als in allen anderen Bundesländern. Wir haben zwei Mal den Wirtschaftswachstumspreis gewonnen, Exportrekorde erzielt, nach wie vor volle Auftragsbücher, innovative Unternehmen – der Motor brummt, und das ist gut so.

Was sind Ihre großen Ziele für die kommende Legislaturperiode?

Es zeichnet sich ab, dass die Wirtschaft nicht mehr so stark wachsen wird wie in den vergangenen Jahren. Wir wollen dem entgegensteuern, die Vollbeschäftigung bleibt das Ziel. Vorarlberg soll zum Land der besten Fachkräfte werden – dafür werden zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, etwa zur Stärkung der dualen Ausbildung oder zur Entwicklung des Campus V an der FH Vorarlberg. Großes Ziel ist zudem, dass Vorarlberg 2035 der chancenreichste Lebensraum für Kinder sein soll.

Unser Leitmotiv heißt außerdem: Bestmögliche Bildung für bestmögliche Zukunftschancen. Deshalb kommt dem Bildungsbereich eine Schlüsselrolle zu. Wir wollen unterschiedliche Chancen der Kinder aufgrund ihrer Herkunft und ihres sozialen Status möglichst kompensieren. Kein Kind, keinen Jugendlichen zurückzulassen, muss das Ziel sein. Von der Frühpädagogik über die Sprachförderung, die Stärkung der Volksschulen und der dualen Ausbildung, die Weiterentwicklung der Schule der Zehn- bis 14-Jährigen bis hin zum Ausbau der Fachhochschule zu einem Campus Vorarlberg. Natürlich spielen auch der nachhaltige Umgang mit unseren Ressourcen und der Klimaschutz eine Rolle.

Was sind die größten Herausforderungen und Probleme, die es für Österreich und seine Wirtschaft ohne Aufschub zu lösen gilt?

Zuerst gilt es, eine stabile Regierung zu bilden. Das ist nicht einfach für Sebastian Kurz, ich habe aber volles Vertrauen in ihn. Die Konjunktur wird schwächer, und das Parlament hat im freien Spiel der Kräfte wieder Milliarden Euro ausgegeben, die man eigentlich nicht hat. Mit Blick darauf wird es die neue Bundesregierung nicht einfacher haben, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren, gleichzeitig aber wichtige Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Aus meiner Sicht liegen die wichtigen Themen auf dem Tisch: ausreichende Mittel für die Sicherheitsstrukturen im Land wie etwa das Bundesheer, Maßnahmen im Klimaschutz und die weitere Senkung der Steuerlast.

Der Haushalt ist auch in Vorarlberg ein großes Thema: Das Land hat zuletzt (2018) wie die Steiermark als die einzigen zwei Bundesländer keine Überschüsse geschafft – und das bei brummender Konjunktur. Warum? Sonst kennt man Vorarlberg als Budget-Musterschüler.

In Vorarlberg befinden wir uns derzeit in einer sehr investiven Phase, auch aufgrund des niedrigen Zinsniveaus. Im Landesbudget beträgt die Investitionsquote aktuell über 20 Prozent. Wir investieren also gezielt in wichtige Zukunftsbereiche. Zudem stehen große Jahrhundertprojekte wie Rhesi, das Hochwasserschutzprojekt am Rhein, oder etwa der Stadttunnel in Feldkirch in den Startlöchern. Diese gilt es zu finanzieren.

Der Schuldenstand ist in absoluten Zahlen relativ niedrig. Dennoch ist er 2018 innerhalb eines Jahrs um mehr als 20 Prozent gestiegen. Wo landen Sie Ende 2019?

Der langfristige Schuldenstand des Landes ist gleich geblieben. Es gab keine Netto-Neuverschuldung. Wie sich die Liquidität des Landes zum Jahresende darstellen wird, kann derzeit aber noch nicht seriös prognostiziert werden.

Die Ratingagentur Standard & Poors hat Vorarlberg für seinen finanzpolitischen Kurs zwar gerade ein hervorragendes Zeugnis mit tollem Rating ausgestellt. Dennoch sieht die unmittelbare Zukunft nicht mehr so rosig aus. Müssen Sie neue Schulden machen?

Wie ich bereits angedeutet habe, werden vor allem die großen Infrastrukturprojekte wie der geplante Stadttunnel in Feldkirch, die Rheinbrücke Hard-Fußach oder die Autobahnanschlussstelle Rheintal Mitte sich stark auf das Budget auswirken. Außerdem planen wir auch große Investitionen in die Bildung: 50 Millionen Euro sind für die Fachhochschule Vorarlberg vorgesehen, auch bei der Landesbibliothek und den Landesberufsschulen wird es weitere Investitionen brauchen.

Eines der großen Projekte ist der etwa acht Kilometer lange Lückenschluss im Rheintal zwischen der schweizerischen und der österreichischen Autobahn. An dieser S18-Verbindungsstraße wird seit 20 Jahren herumgedoktert. Wird es nächstes Jahr, wie angekündigt, endlich eine Trassenentscheidung geben? Normalerweise müsste jeder zufrieden sein, wenn man den Durchzugsverkehr aus den Ortschaften bekommt.

Bei einer Pressekonferenz im Oktober mit Asfinag-Vorstand Hartwig Hufnagel haben wir angekündigt, dass die Trassenentscheidung definitiv im Jahr 2020 kommt. Beide Trassen sind technisch umsetzbar. Es gibt natürlich – wie bei jedem Großprojekt – Widerstand, aber für uns ist das eines der Schlüsselprojekte der Zukunft und ein wichtiger Meilenstein für die Entlastung des unteren Rheintals. Über 40.000 Vorarlberger warten auf diese Entlastung, rund 6000 Pendler sind von der aktuellen Verkehrsüberlastung betroffen.

Wann, rechnen Sie, kann es mit der Bodensee-Schnellstraße losgehen? Und viel wichtiger: Ab wann könnte man die S18 befahren?

Um dieses größte und wichtigste Straßenbauvorhaben in Westösterreich mit Umweltschutz und Umweltverträglichkeit zu vereinbaren, stehen in den nächsten Jahren noch umfangreiche Verfahren an. Läuft alles wie vorgesehen, folgt nach der Trassenentscheidung 2020 die Abwicklung der Umweltverträglichkeitsprüfung 2022, mit dem Bau könnte 2025 begonnen werden. Das gilt jedoch nur, wenn es keine weiteren Einsprüche gibt, von dem her bin ich weiterhin vorsichtig mit konkreten Jahreszahlen. Dennoch: Wir sind so weit wie nie, und mit der Trassenentscheidung 2020 wird ein erster wichtiger Meilenstein gesetzt.

Das Angebot von Industrieland ist knapp: Kann man ausländische Unternehmen und Kapital noch nach Vorarlberg locken?

Wir verfolgen keine aggressive Ansiedlungspolitik – heimischen Betrieben muss es möglich sein, sich zu erweitern, aber große ausländische Betriebe wollen wir nicht nach Vorarlberg holen. Eine Ausnahme bilden jedoch Start-ups und die digitale Szene – wir wollen mit dem Campus V, der Postgarage und weiteren Maßnahmen ein kreatives Umfeld für die digitale Szene vergleichbar mit der Tabakfabrik in Linz schaffen. Hier ist großes Innovationspotenzial vorhanden!

Beim Thema Lehrlingsquote sind die Vorarlberger Betriebe österreichweit Champions. Doch die Klage, nicht genügend gute Leute für das Wachstum zu bekommen, hört man laut von vielen Betrieben. Wie kann das Land unterstützen?

Vorarlberg sollte sich weiter als das Land mit der besten Ausbildung profilieren – das muss ein ganz klares Ziel sein. Wir reden viel über eine Marke Vorarlberg, und ich glaube, wir haben mit der Ausbildung einen ganz starken Markenkern. Die besten Fachkräfte, auch jene mit der höchsten Motivation, gibt es hierzulande. Das sollten wir vorantreiben, indem wir die Lehrlingsausbildung weiter unterstützen, in Berufsschulen investieren, die Fachhochschule ausbauen und die Anzahl der technischen Absolventen steigern. In die Bildung müssen wir generell weiter investieren, schauen, dass kein Kind zurückbleibt, und die Weiterbildung stärker in den Fokus rücken. Deshalb gibt es einen starken Schulterschluss von Landesregierung, Sozialpartnern, dem AMS, der Vorarlberger Wirtschaft und weiteren Partnern. Gemeinsam haben wir eine Fachkräfteoffensive gestartet, deren Konzentration auf drei Schwerpunkten liegt: die duale Ausbildung weiter ausbauen, die digitale Kompetenz stärken und vermehrt Frauen für technische Berufe begeistern.

Wie kann man mehr junge Leute in die benötigten Berufe bringen?

Wir investieren stark in die Berufsschulen, an den HTL investieren wir in den Ankauf moderner Gerätschaften, um beste Ausbildung sicherzustellen. Das spricht sich natürlich herum. Ein weiteres gutes Beispiel ist das Studienangebot an der FH Vorarlberg: Der größte Teil der Studierenden, 43 Prozent, entfällt auf den Technikbereich; 25 Prozent entfallen auf die Wirtschaft. Das ist perfekt zugeschnitten auf den Vorarlberger Arbeitsmarkt.

Zum Bund: Wie wichtig ist für Sie, dass ein Vorarlberger der nächsten Bundesregierung angehört?

Politik ist kein Wunschkonzert, darum bin ich mit solchen Äußerungen vorsichtig. Wir haben gute Abgeordnete in Wien. Aus meiner Sicht ist es deshalb nicht relevant, ob Vorarlberger der Regierung angehören, sondern es geht um die Arbeit, die gemacht wird.

Wie verschaffen Sie sich mit Ihren Anliegen in Wien Gehör?

Indem ich Sebastian Kurz persönlich anrufe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2019)


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