Culture Clash

Diener Gottes?

Zum 100. Geburtstag von Michail Kalaschnikow, dem Erfinder der populärsten Waffe überhaupt: Nachsinnen über Töten, Tod und Verantwortung – und den Wert von Rasenmähern.

Eine seltsame semantische Entwicklung unserer Zeit macht sogar aus dem russischen Sturmgewehr AK-47, nach seinem Erfinder „Kalaschnikow“ genannt, eine Ikone – eine „Ikone der Populärkultur“, wie die FAZ kürzlich schrieb. Sie ist die verbreitetste Waffe überhaupt. Auf 70 Erdenbürger kommen ein bis zwei Kalaschnikows. Bei Terroristen, Aufständischen, der Unterwelt und selbst US-Waffennarren ist das 72 Jahre alte Modell ungebrochen populär. 2011 hat sogar das Design Museum London eine AK-47 erworben. Eine Waffe in einer Reihe mit dem Walkman oder Ikeas Billy-Regal?

Zum Todestag passt auch die Frage nach dem Verhältnis eines Waffenentwicklers zum Produkterfolg – der ja im effizienten Töten besteht. Das „tödlichste aller Kampfsysteme“, so zitiert der SWR den Friedensforscher Michael Klare, seien heute „halbwüchsige Männer mit AK-47“. 90 Prozent ihrer Opfer seien Zivilisten. Kalaschnikow hat immer wieder betont, dass er ruhig schlafe. „Ich hab die Waffe nicht in die Hand von Banditen und Terroristen gelegt. Kann ich was dafür, dass sie sie für die verlässlichste Waffe halten?“ Er habe für die sozialistische Gesellschaft gearbeitet, für das Wohl der Menschen, und das bereue er nicht. Auch wenn er lieber mit etwas identifiziert würde, was Bauern helfen würde, etwa einem Rasenmäher.

Bevor Kalaschnikow 2013 starb, wurde er Christ. Und im April 2012 schrieb er an Patriarch Kyrill: „Meine spirituelle Agonie und die Frage, die sich mir wieder und wieder stellt, sind unerträglich: Wenn meine Waffe Menschen das Leben genommen hat, bin ich, Michail Kalaschnikow, 93 Jahre alt, Sohn einer Bäuerin, ein orthodoxer Christ, schuldig am Tod dieser Menschen, auch der Feinde?“

Er unterzeichnet mit „Michail Kalaschnikow, Diener Gottes“ und schreibt auch über das erhebende Gefühl, als er erstmals mit 91 in der Michaelskathedrale seiner Stadt Ischwesk war. Diese Kathedrale hatten die Arbeiter der 1807 dort gegründeten Waffenfabrik erbaut, sie wurde 1907 eingeweiht. 30 Jahre später rissen die Sowjets die Kirche ab. An ihrer Stelle wollte man zum 200. Geburtstag der Fabrik ein Kalaschnikow-Museum errichten, doch der greise Erfinder lehnte ab. So baute man eben die Kathedrale wieder auf.

Kyrill hat geantwortet, er solle sich nichts vorwerfen. Er habe das Gewehr doch erfunden, um sein Vaterland zu verteidigen. Und doch hat die Figur des alten Mannes, der sich am Ende fragt, ob sein Beitrag zu Gottes Schöpfung eigentlich gut war, eine beunruhigende und beeindruckende Tiefe. Kalaschnikow ist eben doch eine Ikone.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.