Culture Clash

Der Koran – zum Fürchten?

Hofers Corona-Koran-Sager war schlichte Hetze. Der Diskurs über unerwünschte Wirkungen und Nebenwirkungen religiöser Überlieferungen muss trotzdem geführt werden.

FPÖ-Chef Norbert Hofer hat also bei einer Kundgebung die Kritik an den Regierungsmaßnahmen mit Islamkritik zu verknüpfen gesucht: Er fürchte sich nicht vor Corona, gefährlich sei vielmehr der Koran. Coronakoran, ein Wortspiel, wie witzig! Es fehlen darin nur noch die Koreaner. Der Sager ist nicht nur als Wortspiel einem intelligenten Politiker unwürdig. Hofer gießt Öl in eben jenes Feuer, das zu fürchten er vorgibt. Eine Pauschalunterstellung gegen eine ganze Religion, ins Volk hineingerufen, ist schlichte Verhetzung, wobei „schlicht“ hier in jeder Bedeutung passt.

Dahinter bleibt aber eine Frage offen: Wie kann und soll die Öffentlichkeit eine Debatte über die Gefährlichkeit der Religionen und ihrer heiligen Überlieferungen führen? Angesichts der Kraft der Religion als Motivator zum Guten oder Bösen sollte das zum Grunddiskurs einer auf Frieden ausgerichteten Gesellschaft gehören. Die Religionen selbst brauchen es. Eine stark ideologische Strömung der Antirassismusbewegung erschwert allerdings eine offene Debatte. Sie sieht Rassismus im Kontext von Herrschaft, weshalb jede dominierte Minderheit als Opfer in den Fokus rückt und jede dominierende Mehrheit als Täter. Das führt zu einer Verengung eines scharfen Entweder-oder: Jede Gruppe kann nur zu der einen oder der anderen Seite gehören, ungerechte Herrscher oder ungerecht Beherrschte. Die einen sind zu kritisieren, die anderen brauchen Solidarität. Kritik an beherrschten Gruppen ist kein ernst zu nehmender Debattenbeitrag, sondern nur eine weitere, empörende Manifestation ihrer Unterdrückung.

Das führt dazu, dass sich etwa die Linke ungeheuer schwer tut, das Antiemanzipatorische im heutigen Islam kritisch wahrzunehmen, weil Muslime doch zu den Diskriminierten zählen. Oder dass die Organisatorinnen der Women's Marches in den USA Mitstreiterinnen vergrault haben, weil diese als Jüdinnen Teil einer (die Palästinenser) unterdrückenden Gruppe seien. Oder dass die Christenverfolgung wenig Beachtung findet, weil man im eigenen Kontext Christen als dominierende Mehrheit kennengelernt hat, die nicht zur Opferrolle passt.

Das hat für die Christen im Westen (wie mich) auch den Vorteil, dass der Diskurs über unsere Fehler ohne Tabus geführt wird und wir also lernen können. Er erschwert aber etwa dem Islam einen solchen Fortschritt. Freilich wird der Erkenntnisprozess nicht nur durch die Einseitigkeit der Linken beeinträchtigt, sondern ebenso – und damit sind wir an den Anfang zurückgekehrt – durch die Lust der Rechten, anderen wehzutun.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2020)

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