Culture Clash

Mittelmäßige Ausgezeichnete

Die Liste der Friedensnobelpreisträger ist ein beruhigender Beleg dafür, dass nicht nur die Fleckenlosen dem Frieden dienen können.

Der Kampf gegen den Hunger in den vergangenen 50 Jahren ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Menschheit. Darum ist der diesjährige Nobelpreis für das Welternährungsprogramm der UNO (WFP) eine gute Entscheidung. Auch, weil der Fortschritt seit ein paar Jahren stagniert und die Herausforderungen nun, nicht zuletzt durch Corona, wieder wachsen.

Die Liste der Friedensnobelpreisträger ist also um einen würdigen, wenn auch unspektakulären Eintrag reicher geworden (und interessanterweise um einen, der auch in Trumps USA gut ankommt: In dem von einem ehemaligen Gouverneur der Republikaner geführten WFP ist Amerika der größte Financier). Jedenfalls gab es fragwürdigere Kandidaten. Es gab ja auch schon fragwürdige Ausgezeichnete. Unholde wie Jassir Arafat (1994) oder Le Duc Tho (1973). Manche ziemlich zweifelhaft wie der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos (2016), der brutal mit den Rebellen umgegangen war, für deren Befriedung er später den Nobelpreis erhielt. Manche mit schwarzen Flecken wie der US-Außenminister Cordell Hull (1945), der die UNO mitbegründete, aber sechs Jahre zuvor die „St. Louis“ mit 936 vor den Nazis geflohenen Juden an Bord am Anlegen in den USA gehindert hatte.

Und bei fast jedem kann man etwas Anrüchiges finden, wenn man, wie das heute so beliebt ist, akribisch danach sucht. Sogar beim allerersten Preisträger Henri Dunant (1901), dem Initiator des Roten Kreuzes. Aus Nordafrika, wo er als Kolonialist versuchte, ein Mühlenunternehmen aufzubauen, schrieb er in einem Buch, dass die dortigen Juden „feige und ängstlich“ seien, sich gern als bettelarm ausgeben, während sie „außerordentlich geldgierig“ seien. Ihre religiösen Bräuche seien „so absurd, lächerlich, akribisch und frivol, dass es schwer zu glauben ist, dass sich Wesen mit einigem Menschenverstand und Vernunft sich ihnen unterziehen“. Dabei war Dunant ein Freund des jüdischen Volkes, einer der ersten Wortführer ihres Heimatrechtes in Palästina. Lord Robert Cecil (1937) wollte straffällig gewordene Suffragetten in ferne Kolonien verbannen und war doch einer der Wegbereiter des Frauenwahlrechts – und so weiter.

Selbst die Friedensnobelpreisträger sind Repräsentanten jener seltsamen Spezies, deren Exemplare nicht entweder gut oder böse sind, sondern Mischwesen (was auch für Institutionen gilt, wie etwa für die Friedenstruppen der UNO, den Preisträger von 1988). Und das hat wohl einen inneren Zusammenhang. Denn wer das Gute nicht in allen Menschen erkennt, sondern nur in einem Teil, der stiftet auch keinen Frieden.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien. ⫻

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2020)

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