Chinas Wirtschaft
Die Schattenseiten des Booms
China ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen und will den US-Dollar als Leitwährung ablösen. Doch wer zahlt für den rasanten Aufstieg? Ein Land zwischen Superzügen und Käfigmenschen.

China hat Japan überholt und ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen. "Der Drache überfliegt die Sonne", schrieb "Die Presse".Und tatsächlich wurden noch nie zuvor so viele Menschen aus der Armut geholt, wie in den vergangenen Jahren in China. Doch die Schattenseiten des Booms lassen sich nicht wegleugnen. Nicht alles ist eitel Wonne - China ist ein Land der krassen Gegensätze.
(c) AP (Eugene Hoshiko)

Die Olympischen Spiele 2008 in Peking waren ein Zeichen für die Widersprüchlichkeit des Landes. Optimisten meinten: Menschenwürde, Fairness und Transparenz - die den olympischen Geist kennzeichnen - würden ein liberaleres China hinterlassen. Kritiker warnten: Die gesellschaftlichen und finanziellen Kosten der Spiele seien zu hoch, die korrupte KP werde gestärkt.
(c) Reuters (Claro Cortes)

China ist mitunter beeindruckend: Schon jetzt schießen die chinesischen "Bullet"-Züge mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 350 km/h durch die Ebenen. Vom "Angriff der Superzüge" ist die Rede.Der Markt für Superschnellzüge beträgt momentan 100 Milliarden Dollar im Jahr. Und China steigt immer mehr in das Export-Geschäft ein.
(c) EPA (Wu Hong)

Das Schienennetz quer durchs Land wächst von Tag zu Tag. Die Ziele sind ambitioniert. Schon 2020 sollen die Superzüge alle wichtigen Städte Chinas miteinander verbinden.Das Eisenbahnnetz soll bis dahin von 86.000 auf 120.000 Kilometer anwachsen.
(c) EPA (Lu Xin)

Ein weiteres Prestigeprojekt: Im Mai 2008 wurde die längste Seebrücke der Welt eröffnet. Sie verbindet Shanghai mit der boomenden Hafenstadt Ningbo und ist 36 Kilomter lang.Der Weg zwischen den beiden Handelszentren verkürzt sich mit Hilfe der Brücke um 120 Kilometer. Den Fahrzeugen stehen sechs Fahrspuren zur Verfügung.
(c) EPA (Niu Yixin)

Auch auf einer anderen Ebene sind die Bestrebungen ambitioniert.China versucht Schritt für Schritt seine Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern und den eigenen Yuan als Leitwährung zu etablieren.
(c) Reuters (Jason Lee)

China hat bereits 670.000 Dollar-Millionäre. Nur in den USA (4,7 Millionen) und Japan (1,2 Millionen) gibt es mehr.Ihr Ruf ist aber schlecht. Viele Mitbürger sind der Ansicht, ihre neureichen Mitbürger seien auf unlauteren Wegen an ihr Geld gekommen. "Und viele berauschen sich danach an materiellen Gütern wie schicken Autos und Luxusvillen", sagt der Teilnehmer einer entsprechenden Umfrage.
(c) EPA (Alex Hofford)

Die chinesische Baubranche boomt. Als Folge steigen in Chinas Metropolen die Wohnungspreise in schwindelerregende Höhe. Zielgruppe für Luxus-Immobilien sind erfolgreiche Geschäftsleute.Viele Reiche und Superreiche nutzen Wohnungen nur, um ihr Geld zu vermehren. Sie vermieten die Wohnungen aber nicht weiter, sondern warten darauf, dass die Immobilienpreise steigen. Als Folge stehen die meisten Neubauwohnungen leer.
(c) AP

Auf der Strecke bleibt hingegen die Mittelschicht. Der Traum von einer Drei-Zimmer-Wohnung bleibt den meisten angesichts der galoppierenden Preise verwehrt.
(c) EPA (Paul Hilton)

Doch es geht weitaus schlimmer.In Hongkong, einer der reichsten Städte Chinas, leben 130.000 Menschen in Drahtverschlägen oder Metallkäfigen, weil selbst die kleinste Wohnung zu teuer für sie ist, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im September 2009. Und es werden immer mehr.
(c) Reuters (Bobby Yip)

"Viele der Armen können sich nicht mehr leisten als einen Holzverschlag oder einen Metallkäfig. In ihm schlafen sie, in ihm bewahren sie ihre Habseligkeiten auf, hier verdösen sie ihre Tage. Es ist ein menschenunwürdiges Dasein ohne Perspektive", sagt eine Sozialarbeiterin.
(c) EPA (Alex Hofford)

Die Situation der über 200 Millionen Wanderarbeiter (1980 waren es zwei Millionen), die die chinesische Wirtschaft am Laufen erhalten, ist prekär. Sie zahlen den Preis für das chinesische Wirtschaftswunder.Beobachter sprechen laut "Spiegel" von der "größten Migrationsbewegung in Friedenszeiten". Bis 2015 werden es wohl 300 Millionen Menschen sein.
(c) EPA (DIEGO AZUBEL)

Die Menschen haben kein Recht auf eine langfristige Niederlassung, sie werden von vielen Städten schlecht behandelt.Sie haben kein Recht auf subventionierten Wohnraum und dürfen nicht jede Arbeit ausführen. Sie bekommen Jobs nur, wenn kein Einheimischer diesen Arbeitsplatz besetzen kann. Sie arbeiten meist ohne Krankenversorgung und ihre Kinder dürfen staatliche Schulen nicht besuchen.
(c) Reuters (Donald Chan)

Es ist aber dieses Heer der billigen Arbeitskräfte, das Chinas moderne Metropolen hochgezogen hat. Da vor allem Subunternehmer immer wieder über Nacht verschwinden, gehen Arbeiter oft leer aus.Krank zu sein, ist nicht leistbar. Ein Wanderarbeiter wurde laut "Spiegel" vom Arzt vor die Wahl gestellt: Entweder 120 Dollar pro Tag für die Behandlung (das ist mehr als ein Monatslohn) oder Amputation.
(c) AP (Ng Han Guan)

Bis 2020 wird sich zudem die Anzahl der Autos auf chinesischen Straßen von heute 35 Millionen auf 100 Millionen nahezu verdreifachen.
(c) AP

Eine Verbesserung der Luftqualität ist daher nicht zu erwarten.Jährlich sterben rund 750.000 Chinesen in direkter Folge der Umweltzerstörung und Luftverschmutzung.
(c) Reuters (Reinhard Krause)

Atemwegserkrankungen stehen beim chinesischen Stadtalltag an der Tagesordnung.Kein Wunder: 16 der 20 weltweit am meist verschmutzten Großstädte befinden sich in China.
(c) EPA (Paul Hilton)

Bis zu 700 Millionen Chinesen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, denn nur ein geringer Anteil der Abwässer wird geklärt.70 Prozent der Flüsse und 90 Prozent der städtischen Gewässer sind mittlerweile beträchtlich mit Schadstoffen belastet.
(c) Reuters (Stringer Shanghai)

Die Arbeitsbedingungen in vielen Branchen sind katastrophal, besonders im Bergbau. Zwar ist China nur für rund 40 Prozent der weltweiten Kohleproduktion verantwortlich, dennoch ereignen sich mehr als 80 Prozent aller Todesfälle in chinesischen Kohlegruben. Zehntausende Arbeiter erkranken an Staublunge.Doch egal wie gefährlich die Arbeit und wie gering die Bezahlung ist: Bergarbeiter trauen sich nicht, etwas zu sagen, denn die Listen von Arbeitssuchenden der Grubenbesitzer sind lang.
(c) Reuters (Stringer Shanghai)

Im Schnitt sterben laut "FAZ" jeden Tag 13 Kumpel. Ein Monat in der Mine bringt einem Bauern aus der Provinz jedoch so viel Verdienst wie sonst ein ganzes Jahr auf dem Feld."Ich habe meinen Kinder schon in der Grundschule gesagt, sie müssten gut lernen, damit sie später nicht wie ich in der Kohlegrube arbeiten müssen", zitiert die FAZ den Bergarbeiter Ma Jiandong.
(c) AP

Der Apple-Zulieferer Foxconn brachte China 2010 weltweit monatelang wegen der miserablen Arbeitsbedingungen in die Schlagzeilen. In seinen Werken in der südchinesischen Sonderwirtschaftszone verübten mehrere Arbeiter Selbstmord, meist durch Sturz von einem Fabrikgebäude.Foxconn brachte große Netze an den Gebäuden an. Aus Kostengründen weicht Foxconn nun ins billigere Landesinnere Chinas aus.
(c) EPA (Ym Yik)

In China gibt es dreimal so viele Hinrichtungen wie im Rest der Welt. Mitunter exotische Delikte wie die Tötung von Pandabären und die Plünderung archäologischer Stätten, aber auch gewaltfreie Vergehen wie Diebstahl von Benzin, Steuerflucht und Veruntreuung werden mit dem Tod bestraft. Andere todeswürdige Taten sind etwa Kreditkartenbetrug, Verkauf schädlicher Lebensmittel, Herstellung pornografischen Materials und schwerer Gemüsediebstahl.
(c) AP (Vincent Yu)

Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer für die Arbeiter. In den meisten Provinzen wurde der Mindestlohn erhöht. Der höchste Mindestlohn wird in der boomenden Wirtschaftsmetropole Shanghai gezahlt, hier liegt er bei 1120 Yuan (128 Euro) pro Monat. In den meisten Branchen wächst die Produktivität aber immer noch schneller als der Mindestlohn, sodass die Arbeitskosten in China weiter deutlich billiger als in den Industrieländern sind.
(c) AP