Culture Clash

Umdenken zu fordern ist sinnlos

Ich verstehe, dass manche wollen, dass auch alle anderen so denken wie sie. Aber das Umdenken zu fordern ist sinnlos. Solchen Forderungen hat noch nie wer Folge geleistet.

Manche Forderungen machen mich ratlos. Etwa: „Wo bleibt der Aufschrei der Medien?“ Noch als ich „Presse“-Journalist gewesen bin, habe ich mich da immer gefragt, wie Medien eigentlich aufschreien. Durch Ausrufungszeichen? Durch geballte Leitartiklerei? An einen Aufschrei kann ich mich erinnern, von Edi Finger, während der WM 1978. Aber das ist wohl nicht gemeint. Ähnlich geht es mir mit der – in der Pandemie gehäuft auftretenden – Forderung nach Umdenken. Mir ist schon klar, dass so etwas wie Umdenken immer wieder geschieht: Perspektivenwechsel, Änderung einer kollektiven Gewohnheit, Bewusstseinswandel. So ist etwa unser Krieg-ist-schlecht-Paradigma relativ neu. Die Betrachtung und Behandlung des politischen Gegners war in Österreich nach der Nazizeit völlig anders als vorher. Und welcher Zeitgenosse Goethes hätte gedacht, dass einmal als taugliche Abendbeschäftigung für Erwachsene gelten würde, fremden Menschen in einem Dschungelcamp beim Würmeressen zuzuschauen. Mir ist nur kein Beispiel aus der Geschichte bekannt, in dem die Leute umgedacht hätten, weil andere das gefordert haben. Unser kollektives Handeln beruht ja nicht auf Gedanken allein, sondern auf kollektiven Grundbedürfnissen, Gefühlen, Gewohnheiten, Grundannahmen, Einsichten und Erfahrungen. Die meisten davon entziehen sich unserem planmäßigen Zugriff.

Wer etwa die Konsumgesellschaft als befriedigend erlebt hat – und dank Internet auch in der Pandemie als funktionstüchtig erlebt –, dem fehlen die nötigen Erfahrungen und der Leidensdruck, um sein Verhalten zu ändern. Dahingehende Forderungen können höchstens im Einzelfall bei entsprechender Penetranz einen solchen Leidensdruck herstellen (immerhin hören manche Menschen anderen zuliebe mit dem Rauchen auf).

Ich fürchte, dass auch unsere jetzige Krise Umdenk-Forderern keine Erfüllung bringt. Wir werden die Erfahrung machen, dass Technik, Wissenschaft und Management auch diese Herausforderung bravourös bewältigen. Wir werden zwar ein bisschen länger brauchen, bis wir auch die ökonomischen Folgen überwunden haben werden, aber eine berechtigte Hoffnung darauf haben wir schon jetzt.

Wir werden in der Krise Erfahrungen machen, Fehler erkennen, unsere Grundannahmen überprüfen, neue Einsichten gewinnen. Es ist auch immer vernünftig, die Prioritäten im eigenen Leben gut zu ordnen, und uns dazu auch von Ehepartnern, Päpsten oder Philosophen ins Gewissen reden zu lassen. Und wenn das alles dazu führt, dass vernünftige Politik populär wird, umso besser. Der Imperativ „Denkt um!“ wird dazu aber wenig beitragen.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.