Culture Clash

Feier- oder Trauertag?

Was einem Mann halt so zum Weltfrauentag einfällt: dass gesellschaftliche Defizite anzugehen sind – aber dass eine defizitorientierte Sichtweise auch depressiv macht.

Vor einigen Jahren haben die Ökonomen Betsey Stevenson und Justin Wolfers in einer Studie das Phänomen des „Paradox of Declining Female Happiness“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht: Seit den frühen 1970er-Jahren sinkt bei Frauen kontinuierlich die Selbsteinschätzung, wie glücklich sie gerade sind. Frauen werden nach eigenem Befinden immer unglücklicher – in allen Einkommensklassen, Altersstufen und Bildungsniveaus und in so gut wie allen Industrieländern. Nur die Frauen, nicht die Männer. Die Glücksforscher nannten das deshalb ein Paradoxon, weil die ständig verbesserte Gleichstellung der Frauen einen gegenteiligen Trend nahelegen würde. Einen schlüssigen Grund konnten die beiden Autoren nicht nennen, und nach ihnen wollte man auch nicht so recht über dieses irgendwie unbequeme Phänomen forschen oder auch nur nachdenken. Es gibt wohl auch nicht den einen einzigen Grund. Aber ich frage mich, ob die in Medien und Sozialpolitik vorherrschende defizitorientierte Betrachtung der Geschlechterfrage zu diesem Trend beitragen könnte.

Wäre ich nicht ein Mann, sondern eine Frau und würde über uns hauptsächlich hören, dass wir – obwohl in der Überzahl, seit Jahrzehnten rechtlich den Männern gleichgestellt und im Schnitt sogar mit besserer Bildung ausgerüstet – es immer noch nicht schaffen, uns ausreichend Machtjobs und Spitzengehälter zu sichern und dazu auch noch auf dem Gros der Hausarbeit sitzen bleiben und dass uns die (hauptsächlich männlichen) Politiker immer noch jede Menge Förderprogramme, Frauentage und Binnen-Is gewähren müssen, damit wir unser Ding halbwegs auf die Reihe bringen und wir doch nur immer und immer wieder neu hinter dem Plansoll zurückbleiben? Ich denke, ich würde da auch immer unglücklicher.

An Defiziten der gesellschaftlichen Realität leiden viele Frauen. Aber es ist die Crux einer defizitorientierten Betrachtungsweise, dass das Starren auf das halbleere Glas depressiv macht. Es ist klar, dass man Defizite auch benennen muss, wenn es gilt, sie zu beheben. Aber vielleicht könnten wir – und gerade wir Männer – zumindest am Weltfrauentag auch das Positive feiern (der 8. März wurde ja ursprünglich von der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen 1921 in Moskau als Feiertag eingeführt): die vielen Errungenschaften, aber auch einfach, was für unglaubliche, weltrettende Wunder die Frauen nun einmal sind. Wer überall strukturelle Unterdrückung sieht, würde freilich auch das als unsittlich abtun. Aber wie soll so überhaupt noch jemand glücklich sein?

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien. ⫻

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2021)

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