Culture Clash

Eine Ostergeschichte

Völlig eier- und hasenfrei und doch ein Blick in das Geheimnis von Ostern: die Geschichte eines sizilianischen Richters und der Freiheit, das Gute zu wählen.

In der Früh des 21. Septembers 1990 rammten vier Attentäter des Cosa-Nostra-Ablegers Stidda auf der Straße nach Agrigent in Sizilien den Ford Fiesta von Rosario Livatino und eröffneten das Feuer auf ihn. „Was habe ich euch getan?“, fragt der 35-Jährige, bevor er mit einem Schuss ins Gesicht hingerichtet wird. Livatino hatte als Staatsanwalt und Richter gegen die Mafia gekämpft, von Bestechungsversuchen und Drohungen unbeeindruckt. Die Gefahr eines gewaltsamen Todes vor Augen, hatte er, um niemanden in Gefahr zu bringen, auf die Gründung einer eigenen Familie und die Begleitung durch Leibwächter verzichtet.

Livatino hatte sich einen anderen Schutz erwählt. Als tiefgläubiger Christ schrieb er das Kürzel S.T.D. immer wieder in Tagebuch und Akten: „Sub Tutela Dei“, „unter dem Schutz Gottes“. Dass Livatino in einem Monat seliggesprochen wird, macht seine Geschichte aktuell. Österlich ist sie, weil er seine Kraft, dem Tod ins Auge zu sehen, aus seinem Glauben an die Auferstehung bezogen hat. Es sind ja nicht Eier und Hasen, die das Ostergeschehen der Menschheit gegeben hat, sondern die Entmachtung der Todesangst. Wer daran nicht glaubt, wird lediglich konstatieren, dass Livatino auf den falschen Schutz gesetzt hat; er wurde ja doch ermordet. Aber die andere Lesart ist: Weil der Schutz Gottes über den Tod hinausgeht, hat er Livatino ermächtigt, über sich selber hinauszuwachsen. So war sein Leben schon mit 35 groß und vollendet.

Ein Beispiel dafür sind die Mönche von Tibhirine, deren Entführung (und spätere Ermordung) durch algerische Rebellen sich vor wenigen Tagen zum 25. Mal gejährt hat. Als am Weihnachtsabend davor – so zeigt es der Film „Von Menschen und Göttern“ – Rebellen auftauchen und die Herausgabe der Klosterapotheke verlangen, weigert sich der Abt, weil er die Medikamente für das Dorf braucht. Der Rebellenführer hält ihm die Maschinenpistole vor die Brust und sagt: „Du hast keine Wahl!“ Der Abt schaut ihm ruhig in die Augen und entgegnet: „Doch. Man hat immer eine Wahl.“

Diese Freiheit ist der Kern von Ostern. Ostern lädt alle ein, über den Glauben an die Auferstehung des Gekreuzigten die Angst vor dem Sterben zu überwinden, vor dem physischen, dem sozialen, dem sinnlichen Tod, und damit frei zu werden, sich – freilich nicht ein für alle Mal, sondern in immer wieder neu zu treffender Wahl – für das durch und durch Gute zu entscheiden. Ein Satz von Livatino lautet: „Wenn wir sterben, wird man nicht fragen, wie gläubig wir waren, sondern wie glaubwürdig.“ Glaubwürdige Helden des Guten, davon lebt die Welt.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2021)

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