Culture Clash

Primatenwürde

Das erfolgreiche Einbringen von Menschenzellen in einen Affenembryo wirft ethische Fragen auf. Na so was. Aber was genau ist Ethik in Zeiten des Relativismus?

Auf Facebook schreibt eine Intensivpflegerin gegen die Corona-Verharmlosung: Sie erzählt von einem 37-jährigen Patienten, der unter Todesangst ins künstliche Koma versetzt werden muss. Mein Impuls, diesen Beitrag zu teilen, war stark – aber ich habe es dann doch nicht getan. Über die Gefahren von Covid für die Allgemeinheit und über die Angemessenheit von Gegenmaßnahmen sagt diese einzelne Begegnung ja gar nichts aus. Aber unsere Gefühle sind nun einmal so stark, dass sie sich oft wie schlagende Argumente anfühlen. Dabei können Gefühle uns nur anzeigen, was angenehm und was unangenehm ist – aber sie sagen über Richtig und Falsch nichts aus.

Nun ist einem spanischen Forscher einer US-Universität in einem chinesischen Labor gelungen, sechs Tage alte Affenembryonen mit menschlichen Stammzellen zu mischen und ihre Entwicklung 20 Tage in der Retorte zu beobachten. Solche Chimären-Experimente werden in der Hoffnung unternommen, eines Tages in Tieren menschliche Organe heranwachsen zu lassen. Allein in Deutschland sterben jährlich 1600 Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan bekommen. Der Makaken-Chimären-Versuch ist diesbezüglich vielversprechend verlaufen.

Bisher hat man eher auf Schweine als Ersatzteillager gesetzt, aber das klappt nicht richtig. Mit Affen, so der allgemeine Tenor, wird es allerdings ethisch diffiziler. Schweine werden sowieso geschlachtet, aber Primaten? Mit den Makaken haben wir immerhin gemeinsame Vorfahren, wenngleich das auch schon wieder 23 Millionen Jahre her ist. Und nachdem pluripotente menschliche Stammzellen sich auch zu Gehirnzellen ausdifferenzieren können, sind Chimären mit einem teilweise menschlichen Hirn denkbar. Was, wenn sie ein menschliches Bewusstsein entwickeln?

Kein Wunder, dass die Bioethiker davon reden, dass da noch viele wichtige Fragen zu klären sind. Allerdings: Ethik geht davon aus, was der Mensch ist, wozu er da ist und ob er eine besondere Würde hat. Da es dazu keinen Grundkonsens mehr gibt, gibt es auch nicht die „eine“ Ethik als gemeinsamen Bezugspunkt für Argumente. Wenn aber Wahrheit subjektiv ist, bleibt als Entscheidungsgrundlage letztlich nur das Gefühl. Da wird es darauf hinauslaufen, was dem modernen Menschen angenehmer erscheint: sich das Leben möglichst lang möglichst unbeeinträchtigt machen zu können – oder mit allen nett sein zu wollen, auch mit den Affen. Sobald man das eine mit dem anderen wird verbinden können, wird alles erlaubt werden. Ob das aber überhaupt noch eine Ethikdebatte ist, bin ich mir nicht sicher.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com
www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2021)

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