Culture Clash

Zeit der Verachtung

Parlament Österreich
Parlament Österreich(c) imago images/Westend61 (Martin Moxter via www.imago-images.de)
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Wir steuern in ein Dilemma: Wir wollen mehr Staat – das heißt unweigerlich: mehr und machtvollere Politik – und machen gleichzeitig die Politiker immer mehr herunter.

Pandemie und Klimawandel haben dem Ruf nach mehr Staat Auftrieb beschert – nach mehr Umverteilung, mehr staatlichem Eingreifen, mehr Sozialstaat, mehr ökologischen Regeln, aktiverem Klimaschutz usw. In der Praxis bedeutet das: mehr Politik. Also weniger Privatautonomie und mehr Eingriff von Politikern in unser Leben. Aber das Ansehen der Politiker ist im Schwinden. Wir wollen also, dass gerade jene Menschen immer mehr Bedeutung und Macht bekommen, die wir immer weniger respektieren.
Das führt zwar nicht in die Steinzeit, ist aber ein Dilemma. Und es hilft nicht, dass unsere Verachtung eh nur denen auf der falschen Seite gilt. Die Art, wie wir auch nur über einen Teil jener sprechen, die sich in den politischen Raum vorwagen, also über Journalisten, höhere Beamte oder Funktionäre, macht diesen ganzen Raum feindselig.

Ich rede nicht vom Umgang der Politiker untereinander. Der war immer rau, aber herzlos. Sondern vom Ton, den heute ganz normale Bürger anschlagen, wenn sie Akteure im öffentliche Raum kommentieren. Da spielen Argumente oder die Analyse von Handlungen und Absichten eine immer geringere Rolle – wie sollen sie auch in der Kürze eines Tweets? Leichter geht von der Hand, einer Person die Achtung zu entziehen. Tiefpunkt dieser immer selbstverständlicheren Dehumanisierung waren die johlend zynischen Postings über den Nachwuchs im Hause Kurz.
Dieser Ton klingt auch abseits der sozialen Medien und in den bravsten Milieus auf. Die offizielle Nachrichtenseite der katholischen Kirche der Schweiz hat gerade eine Tirade gegen einen Ex-Diözesansprecher gebracht, den sie als „Möchtegern-Macho“ und „moralisch flexiblen“ Studienabbrecher vorführt, der „seinen Feinden genüsslich nachtritt“ usw. Mich hat das nicht deswegen getroffen, weil ich auch ein Diözesansprecher bin, sondern weil bisher im christlichen Umfeld noch verpönt war, die Kritik an einer Handlung durch ein Abqualifizieren des Handelnden zu ersetzen, den man doch eigentlich, selbst als Feind, lieben sollte.

Die Lust am Bezichtigen kommt schleichend. Man verliert Stufe um Stufe das Gefühl dafür, dass die Feindbilder doch vor allem anderen lebendige Menschen sind und eben nicht Bilder, oder Pappfiguren, die zum Watschen da sind. Jeden Unmut frei hinauszulassen, ist nicht Ehrlichkeit und auch nicht konstruktiv, sondern nur unzivilisiert. Ohne eine Rekultivierung der inneren Verneigung vor dem Anderen werden wir als Demokratie handlungsunfähig. Wem es um das Klima ernst ist, der muss daher zuerst das politische Klima schützen.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“, ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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