Vom Sudern und Måtschgern: Der Dialekt erobert die Politik

Kreisky, Gusenbauer, Faymann: Der Vergleich macht Sie sicher. Vom Sparen und der Frage, wie lange ein Studium dauern darf.

Alfred Gusenbauer mag im Vergleich zu Bruno Kreisky, der angeblich sein Vorbild war, ein Kurzzeitkanzler gewesen sein. Er hat trotzdem gewisse Markierungen in der österreichischen Politik hinterlassen. Da ist einmal die Verkörperung der Nostalgie. Was ist sie? Werner Faymann sehen und vor allem auch hören und an Gusi denken. Da ist aber auch jenes Wort, das er in die heimische politische Sprache eingebracht hat: das Wort „Sudern“.

Sie werden es in den Wörterbüchern des Wienerischen nicht entdecken, nicht einmal bei Peter Wehle. Aber bei Google wurde ich fündig: Sudern – gleichbedeutend mit Jammern, sich pausenlos beklagen, sich beschweren, bisweilen ohne Grund. „Suder net wieda“, wird zum besseren Verständnis hinzugefügt. Leichter ist das „Måtschgern“ in der einschlägigen Fachliteratur zu finden. Es kommt, lese ich, angeblich vom Wort „Mocka“, das in manchen slawischen Sprachen „Pfeifensaft“ heißt und dann auch für „Pfeife rauchen“ verwendet wird. Im Wienerischen heißt måtschgern soviel wie „murren“, „meutern“ oder auch „aufbegehren“.

Es wird viel gemåtschgert in der heimischen Politik dieser Tage und auch gesudert. Auf der Straße und in den politischen Zirkeln. Die Studenten protestieren. Kann man dies mit den erwähnten Begriffen bezeichnen, die, wie ich meine, zwar nicht den Punkt, aber doch einen Teil der Umstände treffen? Wieder darf an Bruno Kreisky erinnert werden. Es sei, sagte er im Zusammenhang mit Demonstrationen, überaus leicht, Menschen auf die Gasse zu bringen, aber sehr schwierig, sie nachher wieder heimzuholen.


Sprechen wir nicht von den dummen Kindern, die angeblich aus Gymnasien kamen und die „Internationale“ plärrten – so geschehen vor Kurzem. Sprechen wir lieber von dem, was man früher einmal den „Druck der Straße“ genannt hat. Es geht um die Kürzung der Familienbeihilfe. Sie wird dem Sparprogramm der Regierung zufolge nicht mehr bis zum 26. Lebensjahr, sondern nur bis zum 24. ausbezahlt. Die Frage, welches Studium in dem nun in Aussicht genommenen Zeitraum, alle Ausnahmen eingerechnet, nicht vollendet werden kann, soll hier nicht zur Debatte stehen. Wohl aber – und ich weiß, dass es nun Widerreden geben wird – erinnert das an das (Wahr-)Wort vom Wunsch mancher Österreicher, die zeitliche Distanz zwischen Kinderbeihilfe und Frühpension möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Ist dies Sudern, Måtschgern – oder was sonst? Das Sparprogramm der Regierung ist schmerzhaft für alle. Dass die Minister und Ministerinnen vor ihrer Klausur die Folgen nicht zur Gänze überlegt hatten, ist eigentlich ein Skandal. Faymann und Konsorten wollen nun zurückrudern. Das ist Innenpolitik, made in Austria.

Aber es ist in Wirklichkeit nur ein Beweis, dass das Vokabular der Schlagwörter ergänzt werden muss. Der Verteilungsgerechtigkeit („Die Reichen sollen zahlen“) ist, wie schon richtig gesagt worden ist, die Leistungsgerechtigkeit an die Seite zu stellen. Vielleicht sollte dann auch von der Verantwortungsgerechtigkeit gesprochen werden. Aber immerhin: Bei uns gibt es nicht wie in Frankreich brennende Autos und Molotowcocktails.

Bei uns wird gemåtschgert und gemeutert, die Hochschülerschaft (Wahlbeteiligung 25,7 Prozent) fühlt sich laut ihrer Vorsitzenden „verarscht“ (O-Ton) und die Regierung gibt klein bei. Gusi aber darf Ferdinand den Gütigen zitieren: „Des hätt i a zsambracht!“


Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2010)

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