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Geist & Gegenwart

„. . . und plötzlich wird die Demokratie diskutiert“

Alice Senarclens de Grancy („Die Presse“ 2. v. l.) leitete die Diskussion beim 10. Pfingstdialog mit Frank Decker, Politikwissenschafter an der Universität Bonn, Physiker Werner Gruber, Birgit Bednar-Friedl (Universität Graz) und Soziologe Manfred Prisching, Soziologe von der Universität Graz.
Alice Senarclens de Grancy („Die Presse“ 2. v. l.) leitete die Diskussion beim 10. Pfingstdialog mit Frank Decker, Politikwissenschafter an der Universität Bonn, Physiker Werner Gruber, Birgit Bednar-Friedl (Universität Graz) und Soziologe Manfred Prisching, Soziologe von der Universität Graz.(c) Foto Fischer
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Diskussion. Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sorgen für eine Spaltung der Gesellschaft. Nach Jahrzehnten des Prosperierens stehen westliche Demokratien nun auf dem Prüfstand.

Politiker, die auf die nächsten Wahlen schielen und keine Wissenschaftler in ihr Kabinette holen; Kommunikatoren, die nicht imstande sind, komplexe Zusammenhänge und die Konsequenzen von Maßnahmen der Bevölkerung klar und verständlich mitzuteilen; Medien, die Begrifflichkeiten durcheinanderbringen, Halbwissen unter das Volk werfen und es mit unscharfen Headlines verunsichern. Beim heurigen Pfingstdialog auf Schloss Seggau widmete sich eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Gesellschaftliche Konsenssuche zwischen Demokratie, Wissenschaft und Aktionismus“ unter der Leitung von Alice Senarclens de Grancy („Die Presse“) einem der Schlüsselthemen zur Bewältigung der Klimakrise. Birgit Bednar-Friedl, Forscherin an der Universität Graz, Frank Decker, Politikwissenschafter an der Universität Bonn, „Science Buster“ Physiker Werner Gruber und Manfred Prisching, Soziologe an der Universität Graz lieferten Einblicke.

„Ich mache mir Sorgen, wie die Welt im Jahr 2060 aussehen wird. Es wird in den kommenden Jahren zur Zunahme von Extremwetterereignissen kommen, aber wirklich schlimm wird es danach“, zeichnet Birgit Bednar-Friedl ein düsteres Bild von der Klimakatastrophe. Die Uhr tickt und manche Lenkungseffekte benötigen Jahrzehnte bis sie spürbar werden: „Jede eingesparte Tonne CO2 benötigt 30 Jahre bis sie sich auf die Abflachung der Temperaturkurve auswirkt. Deshalb müssen wir jetzt rasch etwas tun.“ In seiner unnachahmlichen Direktheit nimmt Physiker Werner Gruber jene ins Visier, die nachhaltig zur großen Verwirrung und Verunsicherung beitragen – die Medien. Er vermisst fachkundige Wissenschaftsjournalisten, die – bei den Corona-Pressekonferenzen der Regierung etwa – durch Abwesenheit glänzten. Gleiches gelte, so Gruber weiter, auch für die Politik.

Wohlstand unter der Lupe

Gleichzeitig wird durch die Klimakrise unser Wohlstandsmodell, das auf Wachstum basiert, infrage gestellt. Und so wird die Demokratie selbst mittlerweile hinterfragt. „Wir haben eine substanzielle Zuspitzung der Gefährdung der Demokratie, die man am Deutlichsten am Rechtspopulismus festmachen kann. Ich hätte es nie für möglich erachtet, dass der Rechtspopulismus in die Nähe der Mehrheitsfähigkeit gelangen könnte. Wenn wir von Klimaschutz reden glaube ich, dass die Gefahr besteht, dass sich der Rechtspopulismus dieses Themas als weiteres Antithema bemächtigen wird“, analysiert Frank Decker. Soziologe Prisching gibt sich irritiert: „Es ist interessant, dass es Diskussionen gibt, ob diese Demokratie diese Krise überleben kann. Plötzlich wird die Demokratie wieder diskutiert und ob nicht doch China das bessere Modell wäre. Dass ich das noch einmal diskutieren muss, hätte ich mir nie gedacht nach den Erfahrungen der vergangenen 75 Jahre.“

Der Klimarat, bestehend aus 100 Österreichern, die durch ein Losverfahren bestimmt wurden, ist ein Versuch, die Thematik unter das Volk zu bringen. Bednar-Friedl, die im wissenschaftlichen Beirat des Klimarats tätig ist, zeigt sich von diesem Format begeistert: „Die Bürger haben in den vergangenen Jahren eine Fachexpertise entwickelt, die für mich erstaunlich war, und es wurden nötige Maßnahmen ausdiskutiert. Am Ende wird das ein Maßnahmenkatalog sein, dem alle, die dabei waren, zustimmen können.

Mehr Vertrauen ins Volk

Der Weg ist das Ziel. Die Krise und deren erste Auswirkungen wie extreme Wetterereignisse seien absolut nötig, ist Soziologe Prisching überzeugt, denn „auf Aufklärung, Verständnis und Einsicht zu bauen, dürfte nicht funktionieren“. Politikwissenschafter Decker sieht eine Renaissance klassischer Verteilungsfragen in der heutigen Politik: „Man hat den sozialen Ausgleich vernachlässigt.“ Und Werner Gruber, Forschungskoordinator des Landes Burgenland, unterstreicht sein Credo: Je mehr Vertrauen die Bevölkerung in die jeweiligen Landeshauptleute setzt, desto eher werden Maßnahmen umgesetzt. Das dürfte wohl auch auf Bundes- und Europa-Ebene gelten.

Zum Nachhören und -sehen

Am Sonntag, 19. Juni um 11 Uhr wird auf ORF III eine zusammenfassende Dokumentation des diesjährigen Pfingstdialoges gezeigt.


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