Culture Clash

Am Guten festhalten

Was mich besonders beeindruckt: Die Friedensnobelpreisträger aus Russland und Weißrussland führen zäh einen Kampf, der scheinbar nicht zu gewinnen ist.

In Peter Jacksons genialer Verfilmung von J.R.R. Tolkiens Weltrettungsepos „Der Herr der Ringe“ gibt es eine Schlüsselszene, die so nicht im Buch steht, aber stehen könnte. Angesichts der scheinbar unaufhaltsamen Mächte der Dunkelheit beginnt der Hauptheld, Frodo, zu verzweifeln. Da beginnt sein Gefährte, der einfache, aber charakterfeste Sam, über die „großen Geschichten“ zu reden, „jene, die wirklich wichtig waren. Voller Dunkelheit und Gefahren. Und manchmal wollte man das Ende gar nicht wissen, denn wie könnte so eine Geschichte gut ausgehen? Wie könnte die Welt wieder so wie vorher werden, wenn so viel Böses passiert ist? Aber einmal geht auch er vorüber, dieser Schatten. Selbst die Dunkelheit muss weichen. Ein neuer Tag wird kommen, und wenn die Sonne scheint, wird sie umso heller scheinen.

Das waren die Geschichten, die einem im Gedächtnis bleiben, selbst, wenn man noch zu klein war, um sie zu verstehen. Aber ich glaube, Herr Frodo, ich verstehe jetzt. Ich weiß jetzt: Die Leute in diesen Geschichten hatten so viele Gelegenheiten, umzukehren, nur taten sie's nicht. Sie sind weitergegangen, weil sie sich an etwas festhalten konnten!“ – „Aber woran halten wir uns fest, Sam?“ – „Es gibt etwas Gutes in dieser Welt, Herr Frodo, und es ist es wert, darum zu kämpfen.“

Der Friedensnobelpreis wurde heuer Menschen zugesprochen, die seit vielen Jahren für das Gute in ihren Ländern kämpfen – in denen es heute kaum besser zugeht als in der spätkommunistischen Zeit, als die Ausgezeichneten ihren Kampf begannen. 1982 war Ales Bjaljazki schon Mitglied illegaler Studentengruppen in Weißrussland. Heute sitzt er erneut im Gefängnis. 1989 wurde die Gruppe Memorial in Russland gegründet – vor wenigen Monaten hat der Staat sie verboten, vor wenigen Stunden ihre letzten Büros beschlagnahmt. Nur das ukrainische Center of Civil Liberties, 2007 gegründet, erlebt einen Fortschritt, aber der ist gefährdet.

Woran halten sich Menschen fest, die auch nach 30, 40 Jahren nicht passiv werden? Vielleicht sind es die kleinen Erfolge auch ohne den großen Durchbruch: die einzelnen Menschen, denen man helfen kann. Und mit dem Aufbauen von Menschenwürde und Freiheit mag es sein wie mit dem Bau der großen Kathedralen der Gotik: Auch wenn man die Vollendung nicht mehr selbst erleben wird, ist das Werk an dem man baut, den Einsatz wert und gibt allem Sinn. Es ist ein kleines Mitbauen, wenn wir im heurigen Winter frieren ohne zu jammern. Vielleicht geht es besser, wenn wir das in Hochachtung tun vor den Bjaljazkis dieser Welt.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2022)

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