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Im Gespräch

Quo vadis, Europa? Eine kontinentale Zukunftsfrage.

Ein Jubiläum ist immer eine Gelegenheit zur Reflexion. Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und ihre Entwicklertochter ARE Austrian Real Estate nutzten den gemeinsamen Geburtstag und luden den ehemaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer, Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn und Migrations- und Sprachexpertin Katharina Brizić in das Future Art Lab der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Im Mittelpunkt stand die europäische Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit der Zukunft?

„Ich bin mit der österreichisch-ungarischen Küche groß geworden, meine Mutter war eine vorzügliche Köchin. Und so ist eine Reise nach Wien immer ein Stück Rückkehr“, so beginnt Joschka Fischer seinen Vortrag. Die Rückbesinnung auf Österreichs multikulturelle Vergangenheit wird an diesem Vormittag noch öfter Thema sein. Die Kraft, die aus sprachlicher und kultureller Vielfalt Europas erwachsen könnte, wenn wir sie nur zu nutzen verstünden, wird sich wie ein roter Faden durch Gespräche und Diskussionen ziehen: sei es in der Bildung, in der Politik oder in der Innovation. Doch es ist keineswegs ein nostalgisch-romantisches Bild, das Fischer in seinem Vortrag von diesem Kontinent und seinen Staaten zeichnet. Es ist das Bild eines Europa, das im Absteigen begriffen ist, ohne es zu merken. Das zu sehr im kolonialistischen Selbstbild vom Mittelpunkt der Welt verhaftet ist, um sich seiner zunehmenden Bedeutungslosigkeit bewusst zu werden, wenn es um Technologie, Wissenschaft und Digitalisierung geht. Doch was Fischer ausspricht, sind keine Worte der Resignation – es ist eine Warnung, mit dem Hinweis, dass die Kehrtwende noch möglich ist.

Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer fordert politische Einigkeit in Europa.
Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer fordert politische Einigkeit in Europa. (c) Daniel Hinterramskogler

Krieg und Klimakatastrophe

Doch die Voraussetzungen sind denkbar ungünstig: „Der Krieg ist auf unseren Kontinent zurückgekehrt“, so Fischer, der sich selbst als ein Kind des Kalten Krieges beschreibt, „ein heißer Krieg.“ Russland, ist er überzeugt, kann im eigenen Selbstverständnis nur als Weltmacht existieren – und dafür brauche man die Ukraine. Und nicht nur die: „Who’s next? Wo wird es enden?“ Dass Russland sich durchsetze, sei keine Option – und genau da sei Europa gefragt. Genau da brauche es politische Einigkeit in Europa, man müsse zusammenrücken, viel stärker als je zuvor. „Können wir uns dauerhaft auf die USA verlassen?“, fragt er seine Zuhörerinnen und Zuhörer und impliziert gleichzeitig: Nein. Es brauche einen europäischen Weg, und das gehe eben nur gemeinsam.

Dieses Gemeinsame dehnt Fischer schließlich weiter aus – denn die Klimakatastrophe gehe die ganze Welt an: „Das treibt mich mehr um als der Krieg, es ist eine Gefahr auf leisen Sohlen – aber wenn wir einen Punkt einmal überschritten haben, gibt es kein Zurück mehr. Und dann gibt es nur noch eine sehr heiße Zukunft für die nächste Generation. Zum ersten Mal sind wir als Menschheit gefordert, Reich und Arm, Nord und Süd gleichermaßen, die Bedingungen für unser Überleben zu sichern.“ Der Krieg ziehe uns in die Vergangenheit – die Klimakatastrophe bedrohe die Zukunft. Mit dieser Dichotomie gilt es nun umzugehen, diese doppelte Herausforderung hat die Menschheit, die Gesellschaft, die Politik zu meistern.

„Wir werden abgehängt.“

Europa müsse dabei seinen Anteil leisten – auch, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn während man sich auf dem bequemen postkolonialistisch-gemachten Bett ausruht, werde Europa in Sachen Technologie und Digitalisierung abgehängt. Warum haben wir kein Silicon Valley? Warum kein Amazon und Netflix? Er selbst habe Diskussionen von Vertretern der USA und Chinas über Europa verfolgt: „Die nehmen uns nicht ernst. Das sollte uns nachdenklich stimmen.“ Man werde massiv investieren müssen – in Wissenschaft, in Forschung. In Bildung.

BIG und ARE luden hochkarätige Gäste in das Future Art Lab der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, um über die Zukunft Europas zu diskutieren.
BIG und ARE luden hochkarätige Gäste in das Future Art Lab der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, um über die Zukunft Europas zu diskutieren. (c) Daniel Hinterramskogler

Und damit sind wir auch schon bei dem Thema, das die folgende Diskussion stark bestimmt. Denn ohne Bildung keine Zukunft – da sind sich die Diskutantinnen und Diskutanten einig. Es gebe gute europäische Förderungen für Forschung, ist Migrationsforscherin und Linguistin Katharina Brizić überzeugt – aber: „Man hat dabei vergessen, die Sozialforschung miteinzubeziehen. Neue Technologien und Digitalisierung werden nicht funktionieren, wenn wir nicht verstehen, wie wir Innovation ans Volk bringen.“ Als Beispiel nennt sie die Covid-Impfung, die von Teilen der Bevölkerung nicht angenommen werde. Und um die Akzeptanz der Digitalisierung sei es in Österreich auch nicht besser bestellt, konstatiert Franz Schellhorn: „Wir verstehen sie als Naturkatastrophe, die es abzuwenden gilt. Länder wie Estland sind uns weit voraus. Dort begann man gleichzeitig mit der Digitalisierung des Bildungsbereichs – und war mit dem ersten Lockdown 2020 fertig. Bei uns bedeutet Digitalisierung in Schulen, dass man iPads verteilt, während die Schulbücher analog bleiben.“ Diese Technologiefeindlichkeit könne man auch nicht so leicht ändern und das mache ihm die größten Sorgen, so der Thinktank-Leiter.

Die Weichen stellen

In einer Zeit, in der Vielfalt unser größtes Asset sein sollte, werden immer noch Wahlen mit Migrationsfeindlichkeit gewonnen, das sei ein Skandal, so Fischer. Dabei sei die Vielsprachigkeit immer eine Stärke in Österreichs Vergangenheit gewesen. Wie absurd das ist, macht Brizić mit einem Beispiel anschaulich: „Am Tag der Geburt können Babys bereits Sprachlaute von anderen Lauten unterscheiden. Mit sieben Monaten erkennen sie Grammatikfehler. Babys, die zweisprachig aufwachsen, lallen ,mehrsprachigʻ, mit den Akzenten der verschiedenen Sprachen. Was hier kognitiv passiert, ist unglaublich.“

Und dann, etwa bis zum Alter des Schuleintrittes, geschehe etwas, das die Weichen für die Zukunft stellt, so Brizić: „Kinder fangen an zu bewerten – was ist meine Sprache wert? Wenn eine Gesellschaft Mehrsprachigkeit nicht schätzt, wenden sie sich davon ab. Oft können zweisprachige Kinder am Ende der Grundschule ihre Sprachen schlechter als vorher. Dass wir das schaffen, ist eigentlich unvorstellbar – kognitiv ist das gar nicht sinnvoll erklärbar.“ Dabei wäre die Schule eigentlich der Ort, diese Kompetenzen zu fördern: „Die Menschen, die sich mehr als einer Kultur, Sprache, Religion zugehörig fühlen – das sind die Mittler, die wir brauchen.“ Auch für Geschlechterrollen gelte das – in dieser Zeit werden die Weichen dafür gestellt, zu welchen Persönlichkeiten Kinder heranwachsen, wie sie ihre kulturelle, sprachliche und Geschlechteridentität wahrnehmen und leben.

Abgerundet wurde die Veranstaltung durch eine musikalische Darbietung von Studentinnen und Studenten der mdw.
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch eine musikalische Darbietung von Studentinnen und Studenten der mdw.(c) Daniel Hinterramskogler

Die Problemstellungen sind also vielfältig. Sie sind komplex und werden nicht über Nacht zu lösen sein. Wer das aber nun als Einladung verstehen möchte, das Handtuch zu werfen – böse Zungen mögen behaupten „Es ist, wie es ist“ und „Was will man machen“ seien Eckpfeiler der österreichischen Mentalität –, dem seien die Schlussworte Joschka Fischers ans Herz gelegt, der BIG und ARE attestiert: „Das Schicksal meint es gut mit Ihnen, dass es Sie zum Jubiläum vor eine solche Herausforderung stellt. Ich denke, es ist jeder Mühe wert, sich der Herausforderung zu stellen. Träumen ist nicht verboten. Die Menschen waren immer dann am besten, wenn sie unter Druck standen. Wenn sie Antworten finden mussten. Ich traue es uns Europäern zu, diese Antworten zu finden.“

Information

Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) feiert heuer ihr 30-jähriges Jubiläum – Tochterunternehmen ARE Austrian Real Estate wird zehn. Die beiden Unternehmen befinden sich im Besitz der ÖBAG, die zehn staatliche Beteiligungen der Republik Österreich verwaltet. 

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