Culture Clash

Diverse Familien

Der Beschluss eines Kindergartens, Mütter und Väter von den Kindern nicht mehr bebasteln zu lassen, illustriert den Unterschied zwischen guter Idee und schlechter Ideologie.

Menschen, denen es wichtig ist, dass sich andere in dieser Welt willkommen fühlen, sind das Salz der Erde. Ich habe daher einen Soft Spot für den vor wenigen Tagen in der digitalen Aufregungskiste hart aufgeschlagenen Kindergarten aus dem hessischen Städtchen Amöneburg, der den Eltern mitgeteilt hat, dass es heuer keine Basteleien zu Mutter- und Vatertag geben werde, damit sich kein Kind wegen seiner Familienkonstellation als Außenseiter erlebt. Die Sache ist allerdings ein schönes Beispiel dafür, wie eine gute Haltung durch Ideologisierung zum Krampf wird.

Das Kita-Team schrieb: „In der heutigen Zeit, in der die Diversität einen immer höheren Stellenwert erhält, möchten wir diese vorleben und keinen Menschen ausschließen. [. . .] Außerdem ist die Konstellation Mutter-Vater-Kind/er nicht mehr die Norm in heutigen Familien.“ Ein Vatertagsgeschenk ohne Vater in der Familie könne sogar „die Identität eines Kindes infrage stellen“. Nun könnte man zuerst einmal einwenden, dass „Mutter-Vater-Kind/er“ in Wirklichkeit immer noch die Norm ist (im Sinn von Normalität). Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft lebten 2015 mehr als 70 Prozent aller Minderjährigen bei ihren beiden leiblichen Eltern. Aber gerade weil die überwiegende Zahl der Kinder noch Mutter und Vater zu Hause hat, ist natürlich die Gefahr gegeben, dass sich ausgeschlossen fühlt, wer das nicht hat.

Das wäre eine gute Gelegenheit, mit den Kindern einzuüben, dass es für den Wert einer Person nicht entscheidend ist, ob sie auch das hat, was die anderen haben. Und Diversität vorzuleben, indem man zum Beispiel die Kinder entscheiden lässt, was sie für wen basteln wollen (mir ist ohnehin schleierhaft, wieso Kinder bisher basteln mussten, auch wenn es die zu Beschenkenden gar nicht gab). Oder aber man lässt die Ideologie ins Haus und versucht, das aus der Welt zu schaffen, was den Unterschied macht – indem man es an jeder Lebensrealität vorbei für bedeutungslos erklärt und die Normlosigkeit zur neuen Norm (im Sinn von Leitbild) erhebt.

Es ist stimmig, dass nicht das Einverständnis der Eltern eingeholt wurde. Ideologie basiert ja nicht auf Konsens, sondern auf einer Einsicht in die geschichtliche Notwendigkeit. Und damit, dass diese an sich ja mäßig aufregende Geschichte nicht mit einem passenden Geschenk für jeden endet, sondern mit genereller Geschenklosigkeit, ist sie eine Demonstration dessen, was am Ende aller solcher Wege steht: das Nichts für alle. Kein Wunder, dass das Kita-Team da Aufruhr ausgelöst hat.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.