Schrumpfende Städte: Der amerikanische Alptraum

Schrumpfende Staedte amerikanische Alptraum
Schrumpfende Staedte amerikanische Alptraum(c) Reuters (Rebecca Cook)
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Während in China die Städte regelrecht aus dem Boden schießen und rasant wachsen, sehen sich die USA teilweise mit deren Niedergang konfrontiert.

Erstmals lebt die Mehrzahl der Menschen in Städten. Im Jahr 2030 werden fünf Milliarden Menschen in Ballungszentren wohnen, schätzt die UNO - heute sind es 3,3 Milliarden. Drei von fünf Menschen werden dann in Städten leben. "Die Zukunft gehört dem Homo urbanus", titelte "Die Presse" dementsprechend. Vor allem in China schießen die Städte regelrecht aus dem Boden. Aber auch Indien, Bangladesch, Indonesien, Nigeria und Brasilien sehen sich mit einer radikalen, rasanten Urbanisierung konfrontiert.

Dass Wachstum allerdings auch endlich sein kann, zeigt das Phänomen der schrumpfenden Städte, mit dem sich vor allem die USA immer stärker konfrontiert sehen. Die Immobilien- und Hypothekenkrise hat dazu noch einmal wesentlich beigetragen. Der Niedergang des US-Automekkas Detroit ist bekannt: Von 1950 bis 2009 hat sich die Einwohnerzahl von 1,85 Millionen auf 910.000 Einwohner mehr als halbiert.

Detroit ist nicht allein

Doch Detroit ist nicht allein. Das belegen auch die Zahlen des United States Census Bureau. Die Ursachen sind vielfältig: Führte die Flut nach Hurrikan Katrina in New Orleans zum Exodus - von 2000 bis 2009 sank die Bevölkerung um 26,6 Prozent auf 354.000 Einwohner - hat der Niedergang von Flint in Michigan mit der US-Autokrise zu tun. Betroffen sind auch stark industriell geprägte Städte wie Cleveland und Pittsburgh. US-weit mussten bereits in den 1990er Jahren 117 von 922 Stadtregionen Bevölkerungsverluste hinnehmen.

(c) Reuters (Rebecca Cook)

Doch auch in Deutschland, vor allem Ostdeutschland, und Österreich gibt es entsprechende Entwicklungen. So wachsen die heimischen Städte zwar stetig weiter, in alten Industriestädten gibt es aber bereits eine Trendumkehr, wie "Die Presse" im Dezember 2010 berichtete. Negativer Spitzenreiter ist hier Knittelfeld (mit einem Minus von 7,7 Prozent im Vergleich zu 2001) vor Leoben (minus 4,2 Prozent) und Bruck an der Mur (minus 3,9 Prozent).

Von Troja bis New Orleans

Ganz neu ist der Schrumpfungstrend bei Städten nicht. Ein schneller Blick in die Geschichte zeigt, dass Kriege, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Seuchen und Brände immer wieder zum massiven Schrumpfen von Städten geführt haben. Die Beispiele reichen von Troja, Karthago, Pompeij bis zu Hiroshima und New Orleans. Die Aussagekraft dieser Fälle für einen schleichenden, über Jahrzehnte dauernden Schrumpfungsprozess ist allerdings gering.

Ein genauerer Blick zurück zeigt aber, dass schrumpfende Städte bereits in der Spätantike kein seltenes Phänomen waren. Einen drastischen Fall stellt die mittelenglische Stadt Coventry dar, die einmal die viertgrößte Metropole Englands war: Zwischen 1440 und 1550 halbierte sich ihre Einwohnerzahl.

Schrumpfende Städte nur ein Intermezzo?

Der Blick in die Geschichte könne den Optimismus trüben, "jenen Traum nicht mehr zu träumen, der Wachstum heißt", schreibt Armin Owzar in "Schrumpfende Städte: ein Phänomen zwischen Antike und Moderne". Er warnt davor, die gegenwärtige Strukturkrise nur als eine temporärer Art zu betrachten: "Manche betrachten sie sogar als ein Intermezzo, um solche Strukturreformen einzuleiten, die zu einer Renaissance einer von Wachstum und Fortschritt geprägten Gesellschaft führen".

Bevölkerungsrückgang und Raumgewinn müssen jedenfalls nicht nur Nachteile haben, wie die zunehmenden Probleme der explodierenden Mega-Cities zeigen. Einem realistischen Blick stehen allerdings oft der amerikanische Traum und das Motto "big is good" im Weg. Dennoch gibt es immer mehr US-Städte die statt auf Wachstum auf geordnetes Schrumpfen setzen.

Politik der Bulldozer

Ein Beispiel dafür ist die ehemalige Stahlstadt Youngstown im US-Bundesstaat Ohio, der sogar Bruce Springsteen einen Song gewidmet hat. Die Stadt hat heute eine Population von 67.000 Einwohnern (1960: 166.000) und ist damit im vergangenen Jahrzehnt um 18 Prozent geschrumpft. Träumte man früher noch von 250.000 Einwohnern und überlegte die Stahlfabrik durch eine Autofabrik oder ein Riverboat-Casino zu ersetzen, folgt man nun schon seit Jahren dem "Youngstown 2010"-Plan. Dieser ist äußerst unamerikanisch: Er setzt auf Nachhaltigkeit und Lebensqualität statt Wachstum.

Youngstown, Ohio
Youngstown, Ohio(c) Reuters (Brian Snyder)

Angesichts der tristen Situation vieler US-Städte, die sich mit leeren Kassen konfrontiert sehen, steht vor allem eine Frage im Vordergrund: Wie lässt sich die Infrastruktur weiter finanzieren? Die Antwort ist eine Politik der Bulldozer: Stadtteile, die nur mehr spärlich bewohnt sind, sollen platt gemacht und durch Grünflächen ersetzt werden. In Flint kauft die Stadt dafür sogar Häuser in guten Vierteln, um die Menschen aus ihren alten Häusern zu bekommen. Das soll dabei helfen, Verbrechen zu verhindern und Immobilienpreise zu stabilisieren. Auch die Müllabfuhr müsste nicht länger durch Geisterstraßen fahren. Die Stadt könnte so Geld sparen.

Keine Stadt stirbt wie die andere

Ein Patentrezept gegen den Verfall gibt es bislang jedenfalls nicht: Entwickelten sich US-Städte in der Vergangenheit vorwiegend in Richtung Einfamilienhaus-Siedlungen am Stadtrand (bekannt als "urban sprawl"), ist ein solch eindeutiger Trend nicht mehr erkennbar. Manche Städte sterben von innen heraus, andere schrumpfen am Rand.

Nächste Woche: Eine Reise durch die sterbenden Städte der USA


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